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Politik: Langsam wird es eng

Geht der Strafvollzug an die Länder, könnten die Zellen noch voller werden

Berlin - Es gibt eine kleine, allerdings wachsende Gruppe von Bürgern, für die eine Reform des Föderalismus weit spürbarere Folgen im Alltag haben kann als für das Gros der Deutschen. Es handelt sich um die Strafgefangenen. Auch ihre Zukunft soll möglicherweise Ländersache werden. 63 000 sind es derzeit, allerdings werden es wegen schärferer Strafen und strengerer Urteile immer mehr. Anders als gesetzlich vorgeschrieben, müssen viele Gefangene ihre Zelle deshalb mit anderen teilen, im Osten sind es bis zu 80 Prozent. Gleichwohl kostet jeder Haftplatz die Länder 30 000 Euro im Jahr. Geld, dass viele Innenminister lieber für anderes ausgeben möchten.

Die Länder suchen deshalb nach Auswegen. Hessen beispielsweise möchte 2006 das erste teilprivat betriebene Gefängnis eröffnen. Und Niedersachsen will die bislang unzulässige Überbelegung als geltendes Recht festschreiben. Unterbringung, Ausgang, Besuch und Briefe – der Tagesablauf eines Gefangenen in Passau könnte künftig anders aussehen als der eines Gefangenen in Kiel.

Dagegen regt sich Widerstand, etwa bei Berlins Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). „Gerade der Strafvollzug, der wie kaum eine andere staatliche Maßnahme in die Grundrechte eingreift, darf nicht unterschiedlich sein“, erklärte sie am Montag. Eine „Katastrophe“ nennt auch der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann die Pläne. Der Kostendruck würde die Standards in den Gefängnissen sinken lassen. „Damit wird ein Herzstück sozialliberaler Politik geopfert“, sagte er dem Tagesspiegel. Auch aus Kreisen der Justiz kommt Kritik. Der Strafvollzug würde ausgeschlachtet und das Rückfallrisiko erhöht, sagte Bernd- Rüdeger Sonnen von der Vereinigung für Jugendgerichte. Außerdem wäre eine einheitliche und damit widerspruchsfreie Umsetzung des Strafrechts nicht zu gewährleisten.

Der Strafvollzug ist noch nicht allzu lange Bundessache. Bis 1977 gab es gar kein eigenes Gesetz für ihn. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, auch die Grundrechte Gefangener dürften nur durch ein Gesetz eingeschränkt werden. In den folgenden Jahren entwickelte das Gericht seine Rechtsprechung weiter. Die Resozialisierung von Straftätern – ein heute vielfach kritisierter Grundsatz im Strafvollzugsgesetz – gehöre „zum Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt“. Sollte der Strafvollzug tatsächlich an die Länder gehen, wären sie an diese Vorgaben gebunden. Ein billiger Verwahrvollzug wäre damit kaum möglich.

Die Richter sehen die derzeitigen Reformpläne noch aus anderen Gründen skeptisch. Denn künftig sollen sie je nach Land unterschiedlich bezahlt werden können. Ein „unverantwortbares Qualitätsgefälle“ in der Justiz befürchtet der Deutsche Richterbund.

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