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Politik: Lauf der Zeiten

Von Ursula Weidenfeld

Es ist einer der grundlegenden Streitpunkte der sich bildenden großen Koalition: Soll man den Betreibern von Kernkraftwerken erlauben, ein paar Jahre länger Atomenergie zu produzieren, als das im Ausstiegsvertrag vorgesehen ist? Darüber streiten CDU und SPD. Die CDU ist für längere Laufzeiten, die SPD ruft „Finger weg“.

Es ist ziemlich klar, dass am Ende ein weit gehendes „Fingerweg“ stehen wird – obwohl oder gerade weil mit Angela Merkel und Matthias Platzeck jetzt zwei frühere Umweltminister an den Schaltstellen sitzen. Die beiden ostdeutschen Spitzenpolitiker werden das Projekt Schwarz-Rot kaum mit einem Bruch des identitätsstiftenden Themas einer ganzen Generation beginnen. „Atomkraft nein Danke“ – das hat die westdeutsche Jugend der achtziger Jahre genau so geprägt wie die Friedensbewegung. So etwas beerdigt man nicht im Handstreich.

Ein sensibler Umgang mit dem Thema Atomkraft ist wichtig – und richtig. Denn in wenig anderen Ländern gibt es einen so breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass nuklear erzeugte Energie gefährlich und deshalb nicht akzeptabel ist. Ernsthaft wird hierzulande um die Fragen des Umgangs mit nuklearen Abfällen gestritten, die Gefahr terroristischer Anschläge auf Kraftwerke wird von den Beteiligten als Problem erkannt, Lösungen werden gesucht. Und: Ein Land wie Deutschland ist auch reich genug, sich diesen Weg leisten zu können. So lange die Bürger also bereit sind, die steigenden Kosten für das Verbrennen der endlichen Ressourcen Kohle, Öl und Gas zu bezahlen, muss man über die Rückkehr zur Atomkraft nicht diskutieren, man muss die Verlängerung der Laufzeiten nicht übers Knie brechen. So lange die Bürger in der Lage sind, erneuerbare Energien zu subventionieren, wird niemand die Absicht hegen, ein neues Atomkraftwerk zu errichten.

Das Dilemma: Es sind dieselben Bürger desselben Landes, die den Klimawandel als eines der drängendsten Probleme der Erde erkannt haben. Es ist das Thema, das auch die heutige Spitzenpolitiker-Generation verbindet. Angela Merkel hat als Bundesumweltministerin das Kyoto-Protokoll verhandelt, Matthias Platzeck war als Landesumweltminister in Brandenburg erfolgreich. Beide wissen: Gegen den Klimawandel hilft wohl, weniger Abgase aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas in die Luft zu blasen. Nach Lage der Dinge ist es vor allem die Atomkraft, die den Weg dazu weist. China und Indien bauen an neuen Kernkraftwerken, die USA verlängern die Laufzeiten, selbst Finnland baut ein Kernkraftwerk. Tony Blair, ein engagierter Klimaschützer, hat Anfang der Woche festgestellt, dass die Kyoto-Ziele ohne die USA und wegen der Sonderregelungen für China und Indien unerreichbar sind. Der Weltenergieverbrauch wird in den kommenden 25 Jahren nach Schätzungen der Weltenergieagentur um zwei Drittel steigen. Sonne, Wind und Wasser werden diesen Bedarf nicht decken.

Anders gewendet heißt das: Viele Länder der Erde stehen heute vor der Rückkehr zur Atomkraft oder planen doch die Ausweitung dieser Technologie – trotz all ihrer ungelösten Probleme. Sie fragen, was schlimmer ist: der Klimawandel, der weltweit den Meeresspiegel steigen lässt und ganze Landschaften unter Wasser setzt, andere wiederum veröden lässt und den Menschen die Lebensgrundlage raubt – oder der radioaktive Abfall, den man in den Salzstöcken der Welt verbirgt. Diese Fragen muss man auch in diesem Land stellen dürfen.

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