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Lauschangriff: Klima des politischen Verdachts

Osman Paksüt, der Vizepräsident des türkischen Verfassungsgerichts, fühlt sich überwacht. Zeitgleich mit dem Verfahren gegen die AKP sei er Opfer eines Lauschangriffs geworden. Stimmt seine Aussage wäre das ein Skandal.

Nicht nur wegen des beginnenden Sommers sind die Gemüter in der türkischen Hauptstadt überhitzt. Das Verbotsverfahren gegen die Regierungspartei AKP vor dem Verfassungsgericht und die Aussicht auf vorgezogene Neuwahlen nach einem Urteil erzeugen eine fiebrige Atmosphäre – genau das richtige Klima für Verschwörungstheorien. Osman Paksüt, der Vizepräsident des Verfassungsgerichts, heizte die Stimmung jetzt noch weiter auf: Seit zwei Monaten werde er von der Polizei beschattet und möglicherweise auch abgehört, sagte Paksüt. Der Lauschangriff habe zeitgleich mit dem Verfahren gegen die AKP begonnen. Die Opposition spricht von einem Skandal, das Innenministerium dementiert, und Beobachter fragen sich: Steht das Land vor einem Watergate – oder ist alles nur heiße Luft?

Natürlich sei es möglich, dass zivile Polizeiwagen an jenen Stellen in Ankara stünden, an denen er sich aufhalte, räumt Richter Paksüt ein. „Doch wenn diese Autos dann kommen, wenn ich komme, und wenn sie dann losfahren, wenn ich fahre, und wenn ich keinerlei Informationen darüber erhalten kann, dann wächst mein Misstrauen.“

Verfassungsrichter Paksüt gehört zu jenen Juristen im obersten Gericht, die als Gegner der AKP gelten. Die Stimmen von mindestens sieben der elf Richter sind nötig, um die Regierungspartei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu verbieten. Weil die AKP-Gegner im Gericht in der Mehrheit sind, gilt ein Verbotsurteil als durchaus möglich; im Umfeld der AKP wird deshalb über die Gründung einer neuen Partei nachgedacht, in die die Mitglieder nach einem Verbot übertreten könnten.

Möglicherweise glaube die AKP aber auch, das Verbotsurteil verhindern zu können, mutmaßte der kemalistische Oppositionsführer Deniz Baykal nach den Beschattungsvorwürfen. Die AKP habe womöglich einen unbequemen Richter ausspähen wollen, um ihn zu erpressen. Keineswegs, sagen Innenministerium und Polizei: Die Polizeiautos, die der Richter sah, hätten Schmuggler überwachen sollen und nichts mit dem Richter zu tun gehabt.

Auch Paksüts eigenes Verhalten lässt einige offene Fragen offen. So beschwerte er sich zwar in der Presse über die angebliche Beschattung, wollte aber keine Anzeige erstatten. Die AKP-Gegner in Ankara setzten dennoch zum Großangriff an. Baykals Kemalistenpartei CHP spricht von „Abhör- und Beschattungsterror“ und will das Thema im Parlament zur Sprache bringen. Ein Staatsanwalt in Ankara nahm Ermittlungen auf. Unabhängige Beobachter aber sind skeptisch. Es sei zwar möglich, dass Paksüt verfolgt worden sei – „von wem, ist aber nicht klar“, sagt die Politologin Beril Dedeoglu von der Istanbuler Galatasaray-Universität. Dedeoglu neigt zu der Meinung, dass AKP-Gegner dahinterstecken, die die Regierungspartei diskreditieren wollen.

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