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Was drin ist, muss draufstehen. Täuschungen sollen künftig enthüllt werden – die Ernährungsindustrie fürchtet um den Ruf der Branche.

© dpa

Lebensmittel-Verpackungen: Ilse Aigners Etikette

Jetzt will auch Verbraucherministerin Ilse Aigner, dass sich Kunden über irreführende Lebensmittel-Verpackungen beschweren können.

Berlin - Es war ein guter Tag für Ilse Aigner – nach all den Ehec- und Futtermittelskandalen der Vergangenheit und neben den üblichen Reibereien um Milchpreise und Agrarsubventionen auf europäischer Bühne. Erst gab das Kabinett ihrem neuen Verbraucherinformationsgesetz seinen Segen. Und danach durfte sich die Verbraucherministerin vor der Hauptstadtpresse auch noch im Lob der gewöhnlich eher kritischen Verbraucherschützer baden.

Mit dem am Mittwoch freigeschalteten Internetportal www.lebensmittelklarheit.de, in dem sich Kunden über Irreführung durch Lebensmittel-Verpackungen beschweren können, habe die CSU-Politikerin Mut bewiesen, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Gerd Billen. Der Kunde bekomme nun endlich die Möglichkeit, sich selbst kritisch zu äußern. Dass es diesbezüglich ein Riesenbedürfnis gibt, zeigte sich gleich am Mittwochnachmittag: Unter dem Benutzer-Ansturm brach das Portal vorübergehend zusammen.

Billen versicherte, dass alle Beschwerden kompetent geprüft würden, bevor sie ins Netz kämen. Schmähkritik werde man nicht zulassen. Die Hersteller dürften sich zu den Vorwürfen äußern, ihre Kommentare würden mitveröffentlicht. Und Verbraucherschützer erhielten Hinweise darauf, wo Handlungsbedarf bestehe. Billen betonte, dass das Portal nicht vom Staat, sondern von den Verbraucherzentralen betrieben werde. „Die Verantwortung tragen wir“, sagte der Verbandschef. Und gab sich selbstbewusst: „Ich lade jeden ein, gegen uns zu klagen.“

Teilweise überaus heftige Kritik der Branche

Der Verbraucherschützer reagierte damit auf Drohungen und die teilweise überaus heftige Kritik der Branche. Niemand dürfe „durch eine öffentliche Zurschaustellung bestraft werden, wenn er sich an Recht und Gesetz hält“, sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham. Dies könne die Existenz von Unternehmen und folglich auch Arbeitsplätze gefährden. Es sei zu befürchten, dass dadurch „eine ganze Branche in Verruf gebracht wird“, assistierte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Heftige Kritik kam auch aus der FDP. Aigner transportiere mit dem Portal „die Ängste der Verbraucher vor Lebensmitteln“, sagte Agrarexperte Michael Goldmann der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Das Nennen von Produkten sei „höchst riskant“. Beifall kam von SPD und Linkspartei, die Grünen forderten schärfere Gesetze.

Die Aufregung hat vor allem mit der Beteiligung der Bundes zu tun. Von Organisationen wie Foodwatch werden bestimmte Hersteller seit langem ähnlich vorgeführt, doch nun geschieht dies quasi offiziell und mit Steuergeld. Aigner fördert das Projekt zwei Jahre lang mit 775 000 Euro. Sie wolle „einen seriösen Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft anstoßen“, sagte sie – und wandte sich mit Vehemenz gegen Funktionäre, die das Portal „wider besseren Wissens“ als Pranger bezeichneten. „Was draufsteht, muss drin sein, darauf müssen sich die Verbraucher verlassen können.“ Bei „bewusster Täuschung“ habe man zwar gesetzliche Möglichkeiten, sagte die Ministerin und appellierte an die Länder, hier „konsequenter einzuschreiten als in der Vergangenheit“. Es werde aber „immer Grauzonen geben, die nur schwer gesetzlich zu regeln sind“. Als Beispiel nannte die Ministerin die Frage, ab welchem Fruchtgehalt auf Joghurts Früchte abgebildet sein dürfen.

Projektleiter Hartmut König berichtete, dass man beanstandete Produkte unter drei Rubriken veröffentlichen werde. Als „erlaubt“ würden etwa sogenannte Kalbswiener präsentiert, die nur zu 15 Prozent aus Kalbfleisch bestehen. Da dies legal sei, werde man nur anonymisierte Produkte abbilden. Gleichzeitig dürften die Nutzer deutlich machen, ob sie sich von solcher Ware nicht anderes erwarten. In einer weiteren Kategorie finde man Produkte, bei denen die beanstandete Verpackung oder Rezeptur bereits geändert wurde – etwa Onko-Kaffee, der zwischenzeitlich nur noch zu 88 Prozent Röstbohnen enthielt. Schließlich seien echte „Täuschungen“ zu besichtigen. „Chicken-Nuggets“ der Marke Iglo etwa, die nicht, wie auf der Packung in Aussicht gestellt, aus purer Hähnchenbrust, sondern nur aus Formfleisch und Zusatzstoffen bestehen.

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