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Politik: Letzte Hoffnung UN

In Guatemala regieren Gewalt und Armut – eine internationale Kommission soll aufklären helfen

Von Michael Schmidt

Berlin - Für Guatemalas Bürger hat die Hoffnung einen Namen: Vereinte Nationen. Der 12,7-Millionen-Einwohner- Staat wird auch elf Jahre nach dem Ende eines langen Bürgerkrieges von Gewalt und Kriminalität im Griff gehalten. Rassismus, Drogenhandel, Korruption und Babyhandel richten die Gesellschaft zugrunde. Nun soll eine UN-Kommission die Situation untersuchen. Polizei und Justiz „werden der Probleme nicht Herr“, sagt Anika Oettler vom Giga Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg. Im Gegenteil: Das organisierte Verbrechen habe die staatlichen Strukturen unterwandert und „clandestine Parallelstrukturen“ zu den demokratischen Institutionen etabliert. Amnesty International spricht von einem „Corporate Mafia State“, in dem Kriminelle aufs Engste mit der wirtschaftlichen, juristischen und politischen Elite verquickt sind.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Vox Latina erklären 70 Prozent der Guatemalteken, die fehlende Sicherheit sorge sie am meisten. Nach offiziellen Angaben wurden allein im vergangenen Jahr mehr als 5000 Menschen in Guatemala ermordet – und weniger als fünf Prozent aller Delikte aufgeklärt. Das Land leidet unter einer der höchsten Gewalt- und Kriminalitätsraten in ganz Mittel- und Südamerika. Es sind die offenen Wunden der Geschichte, die nach 36-jährigem Bürgerkrieg in eine Kultur alltäglicher Gewalt mündeten: In einem Feldzug des Staates gegen das eigene Volk töteten Militärs und Todesschwadronen zwischen 1960 und 1996 mindestens 200 000 Menschen – und hinterließen der Zivilgesellschaft Tausende entwaffnete Militärs und Paramilitärs, die nichts anderes als das Töten gelernt hatten.

Schon im Januar 2004 hatte die guatemaltekische Regierung ein Abkommen mit den Vereinten Nationen über eine internationale „Kommission zur Untersuchung illegaler Strukturen und geheimer Sicherheitsapparate“ (Ciciacs) geschlossen. Sie sollte weitgehende Befugnisse haben, Strafverfahren einleiten und durchführen können. Das ging dem guatemaltekischen Verfassungsgericht zu weit. Eine internationale Strafverfolgung untergrabe die nationale Souveränität, befand das Gericht und erklärte das Abkommen für verfassungswidrig. Im Dezember 2006 wurde neu verhandelt und eine internationale „Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala“ (Cicig) beschlossen. Sie kann der Staatsanwaltschaft lediglich zuarbeiten, kann ihr Ermittlungsmethoden und Beweisführungen vorschlagen. Diese „Light-Version“ (Oettler) ließ das Gericht passieren – und das Parlament stimmte Anfang des Monats auch zu.

Doch das Vorhaben bleibt umstritten. Gegner des Gremiums sprechen von einer Einmischung der UN in interne Angelegenheiten. Wobei Oettler davon ausgeht, dass hinter der Kritik die Furcht steckt, eigene Verstrickungen könnten aufgedeckt werden. Anderen gehen die Befugnisse des Gremiums nicht weit genug: Sie kritisieren, dass die Entscheidung darüber, welche Fälle überhaupt untersucht werden, in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft erfolgen soll – einer Institution, die selbst Teil des Problems ist. Oettler ist denn auch skeptisch: Ob die Kommission jemals ihre Arbeit aufnehme, hänge nicht zuletzt davon ab, wer die kommende Wahl gewinnt – ein Befürworter wie Präsident Oscar Berger oder ein Gegner.

Am 9. September muss sich der Amtsinhaber dem Votum der Bürger stellen, und auch das Parlament wird neu gewählt. Die neue Regierung wird sich einem weiteren Problem stellen müssen: der dramatischen Armut. Jeder zweite Guatemalteke muss mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.

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