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Libanon: Große Rückkehr nach der Waffenruhe

Sie können es kaum erwarten: Schon eine Stunde nach der Waffenruhe geht nichts mehr auf der Hauptverbindungsstraße in den Süden des Libanon. Tausende Menschen kehren zurück in ihre Heimat.

Tyrus/Kirjat Schmona - Bereits fünf Kilometer hinter der Hafenstadt Sidon stauen sich hunderte Autos, vollgepackt mit Familien, Matratzen, Lebensmitteln. Das sonst bei der kleinsten Behinderung übliche Hupkonzert fehlt, trotz der glühenden Sonne üben sich alle in lächelnder Gelassenheit. "Damit war doch zu rechnen - wir wollen alle nach Hause", schreit ein Arzt strahlend, während der Motor seines Geländewagen mitten in dem Chaos seinen Geist aufgibt.

Weiter südlich, im israelischen Dorf Kirjat Schmona nur wenige Kilometer hinter der Grenze zum Libanon, wagen sich die ersten Bewohner vorsichtig aus ihren Schutzräumen. Rachel Orit trinkt ihren ersten Kaffee in der Morgensonne. Sie genießt die Ruhe - den Keller, in dem sie auch die vergangene Nacht verbracht hat, kann sie in wenigen Schritten erreichen. In ihre Wohnung zurückzukehren, traut sie sich noch nicht. "Ich bleibe lieber hier, dem Frieden traue ich nicht," sagt die 50-Jährige, während sie ihre rotgeäderten Augen reibt.

Wie viele der geflüchteten Südlibanesen wissen auch die meisten Bewohner von Kirjat Schmona nicht, was sie nach der Rückkehr in ihr Dorf erwartet. Seit Beginn des Kriegs vor mehr als einem Monat sind allein in Kirjat Schmona über tausend Katjuscha-Raketen der schiitischen Hisbollah-Miliz eingeschlagen. Dreiviertel der Bewohner sind geflüchtet, fast ein Drittel der Wohnungen wurden beschädigt oder zerstört.

Doch während sich die Menschen jenseits der Grenze kurz nach 7 Uhr mitteleuropäischer Zeit unverdrossen auf den Weg machen, warten ihre israelischen Nachbarn lieber ab. Selbst die Stadtverwaltung von Kirjat Schmona zieht es vor, vorerst in ihrem Betonschutz hinter dem Rathaus zu bleiben. Die Straßen sind menschenleer, obwohl Fabriken, Banken und Geschäfte wieder öffnen dürfen. "Die Leute haben kein Vertrauen mehr in die Zukunft. Sie glauben, die Angriffe gehen jederzeit wieder los", sagt Religionslehrer Jehuda Ohajon. Als Freiwilliger soll er sich um die Rückkehrer kümmern, am Mittag ist er immer noch arbeitslos.

Geschäftigkeit im Libanon

Heftige Geschäftigkeit herrscht dagegen überall im Libanon. Ob in Tyrus, der von den israelischen Luftangriffen weitgehend zerstörten Hafenstadt, in Beirut oder auf den Straßen in die südlichen Dörfer - überall sind Planierraupen am Werk, um Bombenkrater zu füllen, suchen freiwillige Helfer in den Trümmern nach den Leichen von Verschütteten, die sie wegen der anhaltenden Bombardierungen nicht bergen konnten, treffen Flüchtlinge ihre letzten Vorbereitungen für ihre Rückkehr oder machen sich trotz der Warnung vor möglichen Blindgängern schon auf den Nachhauseweg. Auch sie trauen dem Frieden nicht: "Ich glaube den Israelis nicht, das sind doch alles Lügner", meint die 34-jährige Dschihan Bendschak, ihr Vater Mohammad fügt warnend hinzu: "Die israelischen Soldaten sind Verräter. Ihre Chefs sind voller Rachedurst, weil sie den Krieg verloren haben." Aber sie sehen es als ihre patriotische Pflicht an, zurückzukehren, als Kampfansage an die Israelis.

Sollte Israels Regierung gehofft haben, die Hisbollah in den Augen der libanesischen Bevölkerung - vor allem aber der Schiiten - zu diskreditieren, so hat sie genau das Gegenteil erreicht. Noch stärker als früher ist Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ihr Held, wie sie versichern. "Mein Haus in Bint Dschbeil ist zerstört, doch wenn Nasrallah es will, schlagen wir ein Zelt auf unseren Trümmern auf", sagt Rula Beidun, während sie in der Notunterkunft in Tyrus ihre Habseligkeiten zusammenpackt. In ihrem Beiruter Auffanglager zieht Leila ihren roten Schal enger um den Kopf: "Wir werden unseren Boden verteidigen. Und wenn unsere Kinder sterben, dann machen wir halt neue. Wir sind alle Soldaten der Hisbollah," sagt sie mit fester Stimme. (Von Marius Schattner und Anne Chaon, ddp)

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