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Seit März sind etwa 6000 Flüchtlinge aus Syrien in den Libanon gekommen. Ihre Lage ist oft prekär.

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Libanon: Schockstarre im Zedernstaat

Selbst im Libanon müssen syrische Flüchtlinge Angst vor den Schergen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad haben. Denn das Land ist gespalten und und auch im Libanon hat Assad immer noch viele Verbündete.

Im Stadtteil Hama von Beirut will sich Ahmed nicht verabreden. Dort liegt die syrische Botschaft, und er vermutet in dem muslimisch dominierten Stadtteil mehr Anhänger des Assad-Regimes. Im christlichen Ostteil der libanesischen Hauptstadt fühlt sich der 50-Jährige, der aus politischen Gründen aus Syrien flüchtete, sicherer. Dennoch wirkt der kettenrauchende Mann in der Lederjacke nervös und gehetzt, schaut sich im Café ständig um, wer am Nachbartisch mithören könnte. Ahmed will kein Risiko eingehen, denn er weiß um die Härte des syrischen Regimes: Von 1995 bis 2001 saß er in Syrien im Gefängnis – angeblich weil er sich geweigert hatte, wählen zu gehen. Sein Vater, ein Oppositioneller, war da bereits ins Exil nach Ägypten gegangen.

Nach seiner Entlassung durfte Ahmed Syrien nicht verlassen. Er zeigt seine Ausweispapiere vor, in denen das handschriftlich vermerkt ist. Dennoch ist er damals in den Libanon geflohen. Doch sicher fühlt er sich in dem Nachbarland, das jahrzehntelang unter syrischer Vorherrschaft stand, nicht.

„Auch nach dem Abzug der syrischen Truppen 2005 hat das Assad-Regime hier überall seine Finger im Spiel, besonders im Geheimdienst, und die schiitische Bevölkerung mitsamt der Hisbollah ist sowieso mit Assad solidarisch“, klagt Ahmed. Der Bürgerkrieg im Nachbarland stellt den Libanon mit seinem komplexen Bevölkerungsmosaik vor eine Zerreißprobe. Während ein Großteil der Christen historisch gegen den syrischen Einfluss gekämpft hat, steht die Hisbollah, die politische Vertretung vieler Schiiten, bis heute fest an der Seite von Syriens Präsident Assad. Denn er hat die islamistische Bewegung, die auch eine militärische Organisation ist, unterstützt, Waffen und Geld aus dem Iran weitergeleitet.

Die Hisbollah und ihre Verbündeten bilden heute die Regierung im Libanon. Das Land lebt in einer Art Schockstarre. Die Sorge, welche Auswirkungen der Bürgerkrieg in Syrien für das fragile Gleichgewicht des Landes haben wird, ist enorm.

Vor diesem Hintergrund ist die Lage der syrischen Flüchtlinge im Libanon unsicher. „Die etwa 20 bekannten Oppositionellen und Aktivisten, die nach Libanon geflohen sind, sind gleich weitergereist nach Ankara oder Kairo“, bestätigt Nadim Houry, stellvertretender Leiter des Büros für Nahost und Nordafrika von „Human Rights Watch“ in Beirut. Houry hat gesicherte Kenntnisse darüber, dass mindestens vier Syrer im Libanon gekidnapped wurden. „Aufgrund der pro-syrischen Kräfte im Libanon beschützt der Staat die Flüchtlinge nicht vollständig.“ Im Falle der Entführungen erfolgten trotz erfolgreicher Ermittlungen keine Anklagen: In einem Fall wies die Spur eindeutig auf einen Libanesen, der mit der syrischen Botschaft kooperierte. „Aber der Staatsanwalt hat keine Anklage erhoben, dazu fehlt der politische Wille.“

Insgesamt seien fast 6000 Syrer in den Libanon geflohen, die meisten hätten bei Verwandten Unterschlupf gefunden, zumeist im Norden des Landes. Und eine gewisse Unterstützung gibt es immerhin: Die Kinder der Flüchtlinge dürfen im Libanon die Schule besuchen, Notoperationen werden bezahlt. Ein Rückzugsort für desertierte Soldaten ist der Libanon indes weniger: Houry schätzt die Zahl von Deserteuren, die in den Libanon flüchteten, auf etwa 100.

Die wirtschaftlichen Folgen der Krise im Nachbarland sind unterschiedlich. Der Maschinenhersteller Imafco profitiert derzeit. „Unsere Produkte verkaufen sich besser, weil die billigere Ware aus Syrien ausbleibt“, bekennt Manager Mohammed Rayad. Bei der Mercedes-Vertretung im Libanon, Gargour, dagegen ist das Geschäft wegen der Kämpfe in Syrien eingebrochen: „Die Gäste aus den Golfstaaten, die den Sommer im Libanon verbringen und ihre Autos mitbringen, um sie hier warten und reparieren zu lassen, sind im vergangenen Sommer weggeblieben“, sagt der Verkaufsleiter. Politisch sind die Auswirkungen noch unwägbarer. Die berühmte Syrien-kritische Fernsehjournalistin May Chidiac, die bei einem Attentat einen Arm und ein Bein verlor, setzt darauf, dass die Hisbollah durch einen Sturz des Assad-Regimes geschwächt wird.

„Damit verlöre sie ihre regionale Rolle und würde sich als rein libanesische politische Kraft versöhnlicher zeigen.“ Der Filmemacher Lukman Slim dagegen warnt davor, wie allzu oft in der Vergangenheit auf äußere Faktoren und die Schwächung der Hisbollah zu setzen. „Wir brauchen ein neues System der Machtteilung im Libanon“, sagt er. Unterdessen will sich am Freitag in Tunis die Kontaktgruppe der „Freunde Syriens“ treffen – allerdings ohne Russland.

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