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Politik: Liberal mit Abstand

Hamburgs FDP fürchtet, in die Affäre um Schill mit hineingezogen zu werden – und stellt die Fortsetzung der Koalition in Frage

Schmuddelkram in der Koalition, Regierungskrise, miese Umfragewerte und ein Bildungssenator, den Eltern, Lehrer und Schüler heftig kritisieren: Hamburgs FDP macht sich mal wieder Existenzsorgen. Führende Liberale machten am Wochenende deutlich, dass es im Fall von Neuwahlen keinen Automatismus für eine Fortsetzung der Koalition mit CDU und Schill-Partei gibt. Und Bildungssenator Rudolf Lange wies vor der Wahl von Schill-Nachfolger Dirk Nockemann zum Innensenator darauf hin, dass der Koalitionsvertrag auch in der Innen- und Rechtspolitik „eine eindeutige, liberale Handschrift" trage.

Das FDP-Präsidium hat sich in verschiedenen Szenarien mit der Lage nach der Entlassung von Innensenator Ronald Schill beschäftigt und dabei auch Vorkehrungen für mögliche Neuwahlen getroffen. Ex-Spitzenkandidat Lange sagte dem Tagesspiegel: „Wir wollen diese erfolgreiche Koalition fortsetzen, unsere Ziele können wir am besten mit den bisherigen Partnern umsetzen. Nach Neuwahlen, wann immer die stattfinden, haben wir eine neue Lage." Hamburgs CDU-Chef Dirk Fischer hatte sich dagegen kurz nach dem Schill-Eklat bereits festgelegt, das Bündnis aus CDU, FDP und Schill-Partei auch über das Jahr 2005 hinaus fortzusetzen.

Einen Automatismus in Koalitionsfragen habe es für die FDP nie gegeben, sagt FDP-Landeschef Reinhard Soltau. Nach zwei Jahren Koalition biete es sich zwar an, die erfolgreiche Arbeit fortzusetzen, „aber wie lange, dafür gibt es keinen Freifahrtschein". Ob es eine Koalitionsaussage gebe, entscheide ein Parteitag. Über einen Spitzenkandidaten werde man sprechen, wenn es so weit sei. Lange werde als einzigem FDP-Senator „eine herausragende Rolle“ zukommen. Eine Neuwahl sei aber eher unwahrscheinlich.

Vom künftigen Innensenator erwartet Soltau eine Umsetzung des Koalitionsabkommens: „Wenn er die Grenzen des Koalitionsvertrages überschreitet, kriegt er Probleme", stellte der Landeschef klar. Auf Kritik, die FDP habe dem Rechtspopulisten durch ihre Koalition erst zum Regierungsrang verholfen, erwidert Senator Lange, die Koalition habe 2001 „eine ruinierte Stadt“ vorgefunden: „Wir haben den eindeutigen Wählerauftrag ausgeführt. Dafür haben wir seinerzeit Herrn Schill in Kauf genommen.“

Es sei wichtig für die FDP, Unabhängigkeit zu zeigen, sagt die stellvertretende Landeschefin Jasmin Mißler. Sie hofft, dass mit der Wahl Nockemanns am Mittwoch in der Bürgerschaft Ruhe in die Koalition einkehrt.

Schill hat indessen nebulös angekündigt, dass bis Mittwoch noch „eine Bombe“ platzen könne. Offen ließ er allerdings. ob sich die neuen Enthüllungen auf das von Schill behauptete Verhältnis von Bürgermeister Ole von Beust und Justizsenator Roger Kusch beziehen oder auf andere Aspekte. Die Ankündigung hat das Regierungslager deutlich irritiert. Nockemann sagte, es wäre „hohe Zeit“ über einen Parteiausschluss Schills nachzudenken, sollten von ihm neue Ungeheuerlichkeiten kommen. CDU-Chef Fischer warnte: „Die Wahl des Innensenators ist entscheidend für den Erhalt der Koalition.“

Ein Bündnis ohne Schill fordert Lars Otto, Landeschef der Jungen Liberalen in Hamburg: „Entweder Schill oder die Koalition – beides ist nicht haltbar.“ Nach der nächsten Wahl müsse man sehen, ob auch eine andere Mehrheitsbildung für die FDP möglich sei: „Wir sind auf keinen Fall an CDU und Schill gebunden.“ Frank-Michael Wiegand, Ex-Fraktionschef in der Bürgerschaft: „Die Koalition kann nur funktionieren, wenn Schill keine führende Rolle einnimmt.“

Meinungsforschungsinstituten zufolge macht Hamburgs FDP derzeit Klimmzüge an der Fünf-Prozent-Hürde. Im Jahr 2001 war die Partei nach acht Jahren Abstinenz mit 5,1 Prozent wieder in die Bürgerschaft eingezogen. Die jüngsten Äußerungen lassen vermuten, dass die Freidemokraten sich nicht von der CDU vereinnahmen lassen wollen und möglicherweise ohne Koalitionsaussage ins Rennen gehen würden – auch, um der wieder erstarkten SPD eine Option gegen die Grünen zu eröffnen.

Günter Beling[Hamburg]

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