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Gaddafi 2009 bei einer Generaldebatte der Vereinten Nationen. Während die EU ein Paket von Sanktionen gegen das von Gewalt erschütterte nordafrikanische Land schnürt, wurden UN-Sicherheitsrat und Nato zu Sondersitzungen einberufen.

© dpa

Libyen: Massive Sanktionen für Gaddafi

Das Regime in Libyen reagiert mit Gewalt auf die anhaltenden Proteste. EU, Nato und Uno suchen nun Wege, die Aggressionen zu stoppen und verhängen Sanktionen. Welche gibt es?

Von Michael Schmidt

Noch vor den Vereinten Nationen und der Europäischen Union haben die USA Sanktionen gegen die libysche Führung verhängt. Die Strafmaßnahmen richteten sich gegen das Regime von Staatschef Muammar al-Gaddafi, nicht gegen das libysche Volk, erklärte Präsident Barack Obama am Freitagabend (Ortszeit) in Washington.

Wie Gaddafis Sohn Saif al-Islam am Freitagabend in Tripolis mitteilte, wolle die Armee ihre Angriffe auf Aufständische aussetzten, um Gespräche zu ermöglichen. Er kündigte zugleich die baldige Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle in den Städten im Osten des Landes an, die aber mittlerweile von Aufständischen beherrscht werden. Sein Vater hatte zuvor noch zum Kampf aufgerufen. „Wir können jeden Angriff abwehren und das Volk bewaffnen“, drohte Gaddafi bei einem überraschenden Auftritt auf dem Grünen Platz in Tripolis. Er rief seine Gefolgsleute auf, protestierende Regimegegner zu töten.

Hektisch beraten die Staaten der Welt dieser Tage über Wege, die Gewalt in Libyen zu stoppen. Es geht um Sanktionen, aber, überraschend frühzeitig, auch um militärische Optionen.

Wäre ein militärischer Eingriff zum jetzigen Zeitpunkt legitim und legal?

Es sei völkerrechtlich unproblematisch, wenn die Europäische Union ihre Bürger mit Kriegsschiffen oder Eingreiftruppen aus dem Land im Aufruhr hole und in ihre Heimat bringe, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die Errichtung von Flugverbotszonen hingegen, wie von den USA ins Gespräch gebracht, verletze die staatliche Souveränität Libyens und sei entsprechend schwierig zu legitimieren. Nato oder EU bräuchten in jedem Fall ein Mandat des UN-Sicherheitsrats. Das aber sei schwer zu bekommen. Zum einen, weil China und Russland in Fragen der Einmischung in innere Angelegenheiten sehr zurückhaltend agierten. Zum anderen, weil eine trag- und belastbare völkerrechtliche Begründung sich nicht abzeichne. Weder könne derzeit von einer Bedrohung des Weltfriedens oder einer Gefährdung der internationalen Sicherheit gesprochen werden, noch von einem Völkermord in Libyen die Rede sein. „Das ist kein Genozid, was wir in Libyen erleben, sondern die gewaltsame Niederschlagung eines Aufstands“, sagt Kaim.

Wie EU-Diplomaten in Brüssel am Freitag mitteilten, sei die politische Weichenstellung für Sanktionen erfolgt. Der formale Beschluss solle Anfang nächster Woche gefasst werden. Sanktionen müssen grundsätzlich von allen 27 EU-Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden. „Die Details werden nun ausgearbeitet“, hieß es in Brüssel. „Die Zeit der Appelle ist vorbei, jetzt wird gehandelt“, betonte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin.

Wer könnte militärisch aktiv werden?

Theoretisch die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union (AU), die EU oder die Nato. Praktisch aber ist es so, dass die UN keine Streitkräfte haben und es der AU an militärischen Kapazitäten fehlt (außerdem Libyen zu den Mitgliedern zählt). Die EU verfügt über zwei multinationale Eingreiftruppen mit jeweils rund 1500 Mann, die innerhalb von zehn Tagen einsatzbereit und nach weiteren fünf im Einsatzland sein sollen. Allein: Diese EU-Krisenreaktionskräfte bestehen im Kern aus einem Infanterieverband. Sie sind ein Heeresverband, der zur Errichtung von Flugverbotszonen nichts beizutragen hat. Bleibt also die Nato. Die hat allerdings mit Afghanistan mehr als genug zu tun. Und es fehlt an Geld – all überall werden die Rüstungsetats zusammengestrichen, nicht nur Deutschland muss Milliarden sparen. Fraglich ist auch, ob die Mitgliedstaaten bereit sind, noch mehr Opfer hinzunehmen. Anders als in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Irak oder in Bosnien ginge es nicht um Flugverbotszonen in Nachkriegsstaaten – in Libyen wäre vielmehr mit Widerstand zu rechnen, wenn Flugzeuge zur Landung gezwungen oder gar abgeschossen würden. Konsequenterweise müsste die Nato, zum Zwecke des Selbstschutzes, die libysche Flugabwehr bombardieren, zivile Opfer nicht ausgeschlossen, mit anderen Worten: Die Gewaltspirale begänne sich sehr rasch zu drehen, die Situation eskalierte. Und die Frage ist: wozu?

Was könnte das Ziel einer militärischen Operation sein?

Das ist die zentrale Frage. Soll das Schlachten beendet werden? Soll die libysche Führung zur Einsicht gebracht, eine Machtabgabe initiiert und ein Übergang zur demokratischen Transformation eingeleitet werden? Soll das libysche Militär dazu bewegt werden, die Seiten zu wechseln? Oder sollen Schutzzonen in den „befreiten“ Landesteilen, dort, wo die Aufständischen die Regierungsmacht gebrochen haben, errichtet und der erreichte Status quo stabilisiert werden? Was auch immer als Ziel ausgegeben würde – „um es zu erreichen, müsste, wenn wir ehrlich sind, mehr getan werden, als eine Flugverbotszone einzurichten“, sagt SWP-Experte Kaim. Denn die Bekämpfung von Demonstranten durch Kampfflugzeuge sei ja nur eines von vielen Mitteln der Repression durch das Regime Gaddafi.

Doch „mehr tun“ – wer will das, wer kann das im Moment? Der Einsatz militärischer Mittel, das gehört in Deutschland und Europa zum Allgemeingut, ist die ultima Ratio, das letzte Mittel, wenn alle anderen versagt haben. Doch der Beweis, dass alle anderen Mittel nicht greifen, ist noch nicht erbracht. Ja, bisher ist noch nicht einmal in der nötigen Tiefe auch nur darüber nachgedacht worden, welche anderen Mittel denn eigentlich denkbar, welche zur Hand, welche jetzt geboten wären.

Gibt es Alternativen zum Militärschlag?

Die Europäer setzen dabei vor allem auf Sanktionen. Geplant sind ein Waffenembargo und ein Lieferverbot für Güter, die zur Repression eingesetzt werden können. Weiter sollen das Vermögen der Herrscherfamilie eingefroren und Einreisesperren gegen den Clan verhängt werden. Die USA kündigte am Freitagabend an, dass die Vermögen der Führungsriege um Gaddafi eingefroren werden, auch die der Kinder des Staatschefs und aller Personen, die an Menschenrechtsverstößen gegen Regierungsgegner beteiligt waren. „Die Regierung von Muammar al-Gaddafi hat gegen internationale Regeln und jeden Anstand verstoßen und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte Obama. Deshalb zielten die Sanktionen gegen Gaddafis Führungsriege, „während sie das Vermögen, das dem libyschen Volk gehört, schützen“.

Obama kündigte eine enge Abstimmung der USA mit befreundeten Staaten und den Vereinten Nationen bei weiteren Schritten an. Man stehe „standhaft an der Seite des libyschen Volkes bei seiner Forderung nach universellen Rechten und einer Regierung, die offen ist für sein Bestreben“.

Die Schweiz hat bereits reagiert und blockiert alle Vermögenswerte des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi und seines Clans. Das Außenministerium erklärte in Bern: Man wolle „jegliches Risiko einer Veruntreuung von allenfalls in der Schweiz noch vorhandenem staatlichem libyschem Eigentum vermeiden“. Experten sagten, dass der libysche Despot und seine Gefolgsleute wahrscheinlich mehrere Dutzend Millionen US-Dollar auf dem Finanzplatz Schweiz gebunkert haben könnten. Die Summe könnte aber auch eine Milliarde US-Dollar überschreiten. Libyen löst pro Jahr rund 40 Milliarden US-Dollar aus dem Öl- und Gasgeschäft ein. Die Gaddafis schleusten einen erklecklichen Teil dieses Geldes in ihre Taschen. Die Schweizer Regierung verbot auch den Verkauf von Gütern – zumal von Immobilien – aus dem Gaddafi-Umfeld. Gaddafi ist bereits der dritte arabische Diktator, dessen Vermögenswerte die Schweizer in den vergangenen Wochen auf Eis legten. Auch die gestürzten Präsidenten Tunesiens, Ben Ali, und Ägyptens, Mubarak, und ihre Clans haben keinen Zugriff mehr auf ihre Konten und Güter in der Schweiz. Auch britische Finanzbehörden arbeiten laut Zeitungsberichten daran, Gaddafis Vermögen in Großbritannien zu finden. Von Immobilien und Konten im Wert von rund 20 Milliarden Pfund (23,5 Milliarden Euro) ist die Rede.

Die EU verständigte sich prinzipiell auf ein Sanktionspaket. Der von Großbritannien, Frankreich und Deutschland erarbeitete Resolutionsentwurf droht dem Regime unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta mit scharfen Sanktionen, sollte es die Gewalt gegen die Bevölkerung nicht sofort einstellen. Vorgesehen sind ein striktes Waffenembargo, die Sperrung der Konten des Gaddafi-Clans sowie Einreiseverbote.
 Wie reagieren die Vereinten Nationen?

Die UN sind in tiefer Sorge, weil sie davon ausgehen, dass bis dato bereits tausende Menschen bei den Massakern getötet oder verletzt worden sind. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach am Freitag auf einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf von „Massentötungen“ durch das Regime.

Der UN-Menschenrechtsrat forderte den Ausschluss Libyens aus seinen Reihen. Es ist das erste Mal, dass der Rat mit einem solchen Schritt gegen eines seiner Mitglieder vorgeht. Die USA, die Schweiz und weitere westliche Länder unter den 47 Mitgliedern im höchsten UN-Gremium zum Schutz der Menschenrechte unterstützten den EU-Vorstoß zum Ausschluss Libyens. Diese Empfehlung wurde am Freitag einstimmig von dem Gremium beschlossen, obwohl arabische Staaten wie Saudi-Arabien, afrikanische Staaten wie Angola sowie Kuba und China dem Schritt nach Angaben von Diplomaten zuvor skeptisch gegenüber standen.

Der Menschenrechtsrat leitete auch eine unabhängige Untersuchung der Massaker in dem nordafrikanischen Land ein. Die Beweise könnten der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag in einem Prozess gegen die Drahtzieher der Gewalt benutzen. An der Sitzung im Menschenrechtsrat nahmen Vertreter Libyens nicht teil. Laut westlichen Delegierten fehlt von den Diplomaten des Gaddafi-Regimes seit Tagen jede Spur. „Die sind verschwunden“, hieß es.

Am Freitagabend mitteleuropäischer Zeit beriet der UN-Sicherheitsrat in New York über Sanktionen gegen die Machthaber in Tripolis. Die Präsidentin des Weltsicherheitsrates, Maria Luiza Ribeiro Viotti, stellte eine Einigung des 15-Länder-Gremiums auf Sanktionen gegen das Regime in Tripolis an diesem Samstag in Aussicht. Man sei „übereingekommen, sich in Eile um eine Resolution zu bemühen, die Maßnahmen gegen einen bestimmten Zielkreis beinhaltet“, erklärte sie in New York. Die Resolution solle der Gewalt in Libyen ein Ende bereiten und „die gegenwärtige Krise friedlich lösen“.

In der Krisensitzung hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dem Rat Druck gemacht. „Es ist an der Zeit, dass der Sicherheitsrat konkrete Maßnahmen erwägt“, mahnte er. Unter den dramatischen Umständen für die libysche Bevölkerung „bedeutet vergeudete Zeit höhere Verluste an Menschenleben“.

(mit dpa)

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