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Libyen: Studie kritisiert Zustände in Libyen: Brutal, korrupt, chaotisch

Die Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt in einer Studie die Zustände in Libyen – und bescheinigt dem Westen Illusionen. Für die Akteure der aktuellen Affäre kommt diese Mahnung zu spät.

Von Frank Jansen

Die Warnung der renommierten Denkfabrik, die Bundestag und Bundesregierung berät, kommt für die Akteure der Libyen-Affäre zu spät – doch sie könnte die deutsche Politik für die Zukunft sensibilisieren. „In der Sicherheitspolitik ist Europa gut beraten, eine gewisse Distanz zu Libyen zu wahren“, schreibt Isabelle Werenfels, Nordafrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in ihrer jetzt veröffentlichten Studie über „Gaddafis Libyen“. Werenfels mahnt insbesondere zu Vorsicht bei der „Kooperation mit libyschen Sicherheitsapparaten im Kampf gegen den Terrorismus“. Da Libyen Oppositionelle als Terroristen brandmarke, „um den brutalen Umgang mit ihnen zu rechtfertigen, sollten die europäischen Kooperationspartner versuchen, sich ein möglichst unabhängiges Bild von den oppositionellen Akteuren zu machen“. Das dürfte bei den umstrittenen Reisen der Delegation von Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt und Bundespolizei im Jahr 2006 nach Tripolis oder Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte durch die Firma BDB Protection kaum der Fall gewesen sein.

Aus Werenfels’ Studie lässt sich außerdem eine pikante Frage zum Treiben der BDB Protection destillieren. „Ausländische Firmen können in der Regel keine Verträge abschließen, ohne Schmiergeld an Mittelsmänner zu zahlen“, schreibt Werenfels. Hat also BDB Protection nicht nur den heiklen Einsatz aktiver und ehemaliger deutscher Elitepolizisten sowie eines Hauptfeldwebels der Bundeswehr inszeniert, sondern dafür auch Bonzen des Gaddafi-Regimes bestochen?

Gaddafi ist der am zweitlängsten amtierende Diktator der Welt

Massive Repression und Korruption sind jedoch nur zwei Merkmale der libyschen Misere, die Werenfels skizziert. Aus der Studie ergibt sich ein erschreckendes Gesamtbild. Auch die Rückständigkeit einer Stammesgesellschaft, „frappante Rechtsunsicherheit“ sowie „institutionelles Chaos“ mit pseudo-basisdemokratischen Experimenten werden der Herrschaft Gaddafis bescheinigt, des seit 39 Jahren und damit am zweitlängsten regierenden Diktators der Welt. Werenfels nennt zudem die außenpolitische Wende, die Gaddafi mit der Annäherung an den Westen durch den Verzicht auf Terror und Atomprogramm vollzog, eine „Strategie zur langfristigen Machtsicherung für sich und seine Familie“. Europas Hoffnung auf eine innenpolitische Liberalisierung hält die Expertin für „verfehlt“.

Gaddafi habe begriffen, vorbildliche Kooperation in der Wirtschaft und bei der Terrorismusbekämpfung „vermindert den Druck der EU und der USA auf politische Reformen in Richtung Demokratie“, sagt Werenfels. Und sie erläutert, wie das Regime mit dem durch keine Sanktion mehr geschmälerten Geldsegen des Ölgeschäfts versucht, die Unzufriedenheit der sehr jungen Bevölkerung angesichts von Willkür und hoher Arbeitslosigkeit zu dämpfen. Erkaufte Stabilität, die allerdings auch durch zunehmende Militanz islamistischer Gruppen in Gefahr gerät.

Der Ausblick ist zwangsläufig eher pessimistisch. Im günstigsten Fall wird nach Ansicht Werenfels’ irgendwann der im Westen als reformorientiert geltende Gaddafi-Sohn Saif al Islam die Nachfolge antreten. Doch auch dann sei primär eine wirtschaftliche Modernisierung zu erwarten, kaum ein „realer Demokratisierungsprozess“. Dennoch sollte Europa versuchen, langfristig den Boden für Reformen zu bereiten – vor allem durch Kooperation in der Bildung, zum Beispiel durch Austauschprogramme für libysche Schüler, Studenten und Lehrer. Frank Jansen

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