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Wahlen in Tripolis. Manche standen mehr als eine Stunde an, um ihr Kreuzchen machen zu dürfen.

© dpa

Libyen wählt: Schokolade, Freudentriller und das Kreuzchen für die Freiheit

In vielen Wahllokalen stoßen Frauen Freudentriller aus und verteilen Schokolade: Sie feiern die ersten demokratischen Wahlen in Libyen seit einem halben Jahrhundert. Im Osten des Landes gibt es jedoch Streit: Dort fordern manche die alte bundesstaatliche Ordnung zurück.

Die Libyer haben die erste landesweite Wahl nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi zu einem Fest gemacht. Frauen stießen in den Wahllokalen Freudentriller aus und verteilten Schokolade. Männer machten das Victory-Zeichen.

Vor Wahllokalen in der Hauptstadt Tripolis bildeten sich schon am Morgen trotz der großen Hitze lange Warteschlangen. Nur in einigen Städten im Osten des Landes gab es Störversuche von Anhängern der Föderalismusbewegung und Sympathisanten des alten Regimes.

Die Wahllokale schlossen landesweit gegen 20 Uhr MESZ, kurz darauf begann das Auszählen der Stimmen. Die ersten Ergebnisse aus einzelnen Städten werden frühestens an diesem Sonntag erwartet.

Die lockere Stimmung spiegelte sich auch in einer regen Wahlbeteiligung. Bis zum frühen Nachmittag hatten nach offiziellen Angaben bereits 1,2 Millionen von 2,8 Millionen wahlberechtigten Libyern ihre Stimmen abgegeben. „Einfach für Libyen“, sagte die 53-jährige „Normalbürgerin“ Yasmin Moftah, als sie in Bengasi - dem Geburtsort des Aufstands im Vorjahr - zur Wahl schritt.

Der Allgemeine Nationalkongress löst den Übergangsrat ab, den Funktionäre und Aktivisten während der Revolution informell gebildet hatten. Die Abgeordneten sollen eine Übergangsregierung ernennen und die Wahl eines Rates vorbereiten, der eine Verfassung für das nordafrikanische Land schreiben soll.

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Im Osten Libyens konnten mehrere Wahllokale nach Angriffen von Gegnern der ersten demokratischen Parlamentswahl nicht öffnen. Das bestätigte der Vorsitzende der Wahlkommission, Nuri al-Abbar vor der Presse in Tripolis. Störaktionen wurden unter anderem in Brega, Gadamis, Adschdabija und einigen Vierteln der Großstadt Bengasi registriert. Insgesamt konnten 101 Wahllokale nicht öffnen.

Al-Abbar betonte jedoch, in 94 Prozent der Bezirke sei die Wahl normal abgelaufen. Einige der Wahllokale seien wegen logistischer Probleme geschlossen geblieben, hieß es. Noch in der Nacht seien frisch gedruckte Stimmzettel nach Libyen geflogen worden, hieß es am internationalen Flughafen von Kairo, wo eine libysche Maschine Zwischenstation machte.

Am Freitag hatten Gegner des Urnengangs einen Hubschrauber der Wahlkommission in Bengasi beschossen. Nach Angaben eines Regierungssprechers starb dabei ein Mitarbeiter der Kommission. Ehemalige Revolutionäre organisierten in Bengasi eine öffentliche Trauerfeier für den jungen Mann. In den vergangenen Tagen hatten Demonstranten bereits drei Öl-Terminals besetzt. In Adschdabija, wo es während der Revolution im vergangenen Jahr monatelang heftige Kämpfe gegeben hatte, wurden Wahlunterlagen verbrannt.

Der neue Allgemeine Nationalkongress wird 200 Abgeordnete haben. Um die Mandate bewarben sich insgesamt 3707 Kandidaten. 120 Mandate sind für Direktkandidaten reserviert. 80 Sitze gehen an die Kandidaten politischer Bündnisse.

Einige Wähler fotografierten nach der Stimmabgabe ihre mit Tinte aus dem Wahllokal gefärbten Finger. Analog zum Ruf der libyschen Revolutionäre „Erhebe dein Haupt, du bist ein freier Libyer!“ riefen sie dabei: „Erhebe deinen Finger, du bist ein freier Libyer!“.

Übergangsregierungschef Abdel Rahim al-Kib sagte während seiner Stimmabgabe: „Die ganze Welt wurde überrascht vom Erfolg der libyschen Revolution, und genauso wird sie überrascht werden vom Erfolg dieser Wahl.“ Auf die Frage nach den Störmanövern der Föderalisten sagte er: „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.“ Die Föderalisten beklagen die angebliche Benachteiligung der östlichen Gebiete und streben eine weitgehende Autonomie an. Sie sind zudem der Meinung, für ihre Region hätten mehr als 60 Sitze im Nationalkongress reserviert werden müssen. (dpa)

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