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Eroberung. Rebellen präsentieren einen gemeinsam mit den internationalen Truppen zerstörten Panzer der Regierung in der zurückeroberten Ölstadt Adschdabija.

© Patrick Baz, AFP

Politik: Libysche Rebellen auf dem Vormarsch

In Libyen erobern Aufständische die strategisch wichtige Stadt Adschdabija. Während US-Präsident Obama erklärt, der Militäreinsatz habe Blutbad in Zivilbevölkerung verhindert, warnt der britische Minister Clarke vor Gaddafis Rache.

Tripolis/Kairo/London - Mit Unterstützung durch schwere Luftangriffe von Kampfflugzeugen der Koalition haben die Aufständischen in Libyen die strategisch wichtige Stadt Adschdabija zurückerobert. Der britische Sender BBC und der arabische Sender Al Dschasira meldeten die Küstenstadt am Samstag „feindfrei“. US-Präsident Barack Obama lobte die „wichtigen Fortschritte“ der Kolition und forderte, den libyschen Diktator Muammar al Gaddafi wegen seines brutalen Vorgehens gegen die eigene Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. Der britische Justizminister Kenneth Clarke warnte vor möglichen Racheakten des libyschen Machthabers im Stil des Lockerbie-Attentats.

Die Truppen Gaddafis hatten die Stadt knapp 160 Kilometer südlich von Bengasi zu Beginn der westlichen Militäroperationen vor einer Woche besetzt. In der BBC und bei Al Dschasira waren Bilder von zerstörten Panzern und Militärfahrzeugen Gaddafis sowie jubelnde Aufständische zu sehen. Am Samstagabend meldeten die Regimegegner, dass sie auch die 80 Kilometer südwestlich gelegene Stadt Brega zurückerobert haben.

WEIßES HAUS]Ein Sprecher der Rebellen berichtete, am Samstag sei die Stadt Misrata erneut von Truppen Gaddafis „blind bombardiert“ worden. Zudem würden Heckenschützen weiter die Bevölkerung „terrorisieren“. Gaddafis Truppen hätten die Bewohner aus den am westlichen Eingang der Stadt gelegenen Häusern vertrieben. „Misrata ist in Gefahr“, sagte er. „Wir fordern dringend ein internationales Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung.

/WEIßES HAUS]Ein libyscher Sprecher hatte in der Nacht zuvor zugegeben, dass die Bombardements der West- Alliierten den Regimetruppen zusetzen. „Die Luftschläge geben den Rebellen Deckung, um auf Adschdabija vorzumarschieren“, sagte Regierungssprecher Ibrahim Mussa in Tripolis. Dies sei „illegal“ und durch die UN-Resolution 1973 nicht gedeckt, auf deren Grundlage der Westen Militäroperationen zum Schutz der Zivilbevölkerung ausführt.

US-Präsident Obama erklärte, aus seiner Sicht habe die internationale Militäraktion gegen das Regime Gaddafis ein Blutbad in der Zivilbevölkerung verhindert. Weil schnell gehandelt worden sei, „wurde eine humanitäre Katastrophe verhindert und das Leben zahlloser Zivilisten unschuldiger Männer, Frauen und Kinder gerettet“, sagte er. „Die Hoffnungen des libyschen Volkes müssen verwirklicht werden.“ Obama sprach sich dafür aus, Gaddafi für das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. „Diejenigen, die für Gewalt verantwortlich sind, müssen haftbar gemacht werden“, forderte er.

Der britische Justizminister Clarke sagte in einem Interview der britischen Zeitung „The Guardian“, Großbritannien habe „guten Grund“, Gaddafi nicht mehr an der Macht sehen zu wollen. „Die Menschen in Großbritannien haben einen Grund, sich an den Fluch Gaddafis zu erinnern – Gaddafi zurück an der Macht, der alte Gaddafi, der Rache sucht; wir haben großes Interesse daran, das zu verhindern.“ Bei dem Attentat auf einen Pan-Am-Jumbo über dem schottischen Ort Lockerbie 1988 waren 270 Menschen ums Leben gekommen.

In Deutschland stößt die Haltung der Bundesregierung zum Militäreinsatz in Libyen auf scharfe Kritik auch in den Reihen der Union. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) bewertete die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen sogar als schweren Fehler von „historischer Dimension mit unvermeidlichen Spätfolgen“. Der frühere EU-Sonderbeauftragte für Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, warf der Regierung „historischen Zynismus“ vor. Bei der Verhängung der Flugverbotszone über Libyen sei es darum gegangen, ein Massaker wie einst im bosnischen Srebrenica zu verhindern. Da könne man „sich nicht einfach zurückziehen“ und die internationale Solidarität aufkündigen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach sagte der „FAS“, Deutschland hätte an der Seite der europäischen und amerikanischen Partner stehen müssen. Jetzt werde man sich alle Mühe geben müssen, „die Irritationen auszuräumen, die durch unser Verhalten entstanden sind“. Der ehemalige deutsche UN- Botschafter Gunter Pleuger betonte, das deutsche Abstimmungsverhalten sei eine „klare Abkehr von der multilateralen Politik bisheriger Bundesregierungen“. Nach Einschätzung des SPD-Außenexperten Hans-Ulrich Klose schadet die deutsche Libyen- Haltung dem Ansehen der Bundesrepublik. In der Außenwahrnehmung werde die Stimmenthaltung der Bundesregierung so interpretiert, dass „nur die Deutschen sich wieder mal als nicht ganz verlässlich erweisen“, sagte er im SWR.

In einer am Samstag veröffentlichten Emnid-Umfrage für das Nachrichtenmagazin „Focus“ stellten sich dagegen 56 Prozent der 1000 Befragten hinter den deutschen Libyen-Kurs. 36 Prozent hielten dabei die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat für falsch.WEIßES HAUS]

Vor der Küste Italiens vor der Insel Lampedusa wurde am Samstag erstmals ein Boot mit 350 Flüchtlingen aus ostafrikanischen Ländern entdeckt, die in Libyen gearbeitet hatten und aus dem Land geflohen waren. dpa/AFP

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