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Politik: Liebknecht aus Luft

Berlin würdigt den 1919 ermordeten KPD-Mitbegründer auf seine Art: als bloßen Denkmalsockel am Potsdamer Platz

Ob Karl Liebknecht über sein Berliner Denkmal gerührt wäre? Müsste er nicht das Gefühl haben, nur Luft zu sein, ein Nichts oder zumindest nur ein Stolperstein für täglich Tausende von Passanten?

Das Denkmal, das gestern Mittag vorm Zugang des U-Bahnhofs Potsdamer Platz am Verdi-Gewerkschaftshaus enthüllt wurde, hätte den Geehrten wohl kaum vom Sockel gerissen. Dort steht er ohnehin nicht drauf. Und heraufkommen soll er auch nicht. Was Kultursenator Thomas Flierl (PDS) unter dem Beifall weiterer Parteiprominenz und alter Genossen auspackte, war nur ein schmutzig-grauer Sandsteinsockel. Karl Liebknecht, den 1919 ermordeten einstigen SPD-Abgeordneten und KPD-Mitbegründer, muss man sich dazudenken.

Die Inschrift soll das Entscheidende sein: „Von dieser Stelle rief Karl Liebknecht am 1. Mai 1916 gegen den imperialistischen Krieg und für den Frieden auf.“ Liebknecht hatte vor dem Potsdamer Bahnhof, das einstige Haus der Reichskriegskasse im Rücken, den Krieg verurteilt. Die Ost-Berliner Behörden wollten ihm hier 1951 ein Denkmal setzen. Bei der Planung störte die benachbarte, damals noch durchlässige Sektorengrenze zu West-Berlin nicht. Rasch wurde der Sockel gebaut. Aber der gute Vorsatz blieb im Ansatz stecken. Zehn Jahre ließen die DDR- Oberen die Zeit verstreichen, dann bauten sie die Mauer. In deren Schatten setzte der Sockel Moos an und wurde völlig vergessen.

Nach der Wende stand er den Bauarbeiten am Potsdamer Platz im Weg, wurde in die kulturelle Abstellkammer „Lapidarium“ verbannt. Die Gedenktafelkommission in Mitte fand das auf Dauer unbefriedigend.

Der Kultursenator auch. Er machte rund 20 000 Euro locker, ließ den Sockel beschriften und am alten Ort aufstellen. Jeder, der den mannshohen Absatz zu erklimmen vermag, darf nun den Krieg verurteilen. Vielleicht wäre Karl Liebknecht doch gerührt.

Christian van Lessen

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