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Linke: Darf’s noch radikaler sein?

Der Linkspartei drohen neue Flügelkämpfe. Der linke Parteiflügel drängt darauf, mit deutlich radikaleren und plakativeren Forderungen in den Wahlkampf zu ziehen.

Von Matthias Meisner

Berlin - Die Genossen der Linkspartei aus dem baden-württembergischen Ravensburg konnten mit dem Appell von Gregor Gysi offenbar nichts anfangen. „Ich will jetzt keine ideologischen Kriege“, hatte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion mit Blick auf den Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Berlin appelliert. Der Kreisverband Ravensburg indes verlangt, das Programm zur Bundestagswahl, das jetzt beschlossen werden soll, in die Tonne zu treten. Dem Entwurf fehle die „geschlossene ideologische Grundlage“, zudem seien die Forderungen „einfachen Menschen“ nicht zu vermitteln.

Das mag eine zugespitzte Einzelmeinung sein. Doch insgesamt rüstet sich der linke Parteiflügel, damit die Linkspartei mit deutlich radikaleren und plakativeren Forderungen in den Wahlkampf zieht. Und das, obwohl schon in der aktuellen Fassung des Programmentwurfs weitreichende Forderungen wie die nach zehn Euro Mindestlohn oder einer Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro enthalten sind. Fast 200 Anträge sind gestellt, viele wollen die Zuspitzung: Die Nato auflösen! Die Bundeswehr abschaffen! Bedingungsloses Grundeinkommen! Hartz IV muss weg! Verstaatlichung von Schlüsselindustrien!

Dem Reformerflügel wird bang, wenn er an die drohenden Auseinandersetzungen denkt. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau stellte nach der Europawahl, die für die Linke enttäuschend ausging, eine Notiz ins Internet, in der sie kritisierte, Bürger würden die Linkspartei derzeit als „zerstrittenen Haufen“ wahrnehmen, „auf dem zahlreiche Hähnchen und Hühnchen weltfremde Flügelkämpfe austragen“. Die Verhältnisse werde die Linke nicht zum Tanzen bringen, indem man mit der Weltrevolution drohe, „sondern nur mit neuen gesellschaftlichen Mehrheiten“. Wenn die Linke nicht alle Schichten anspreche, verkomme sie zur Sekte. „Pseudo-Radikalität im Auftreten“, so Pau, „ist offenbar die falsche Antwort.“

Ob ein heftiger Krach auf dem Bundesparteitag vermieden werden kann, hängt nach Einschätzung vieler Funktionäre maßgeblich von Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine ab. Wird er die Vertreter des linken Parteiflügels, die vor allem in den westdeutschen Landesverbänden stark vertreten sind, zur Kompromissbereitschaft ermahnen? „Ungeheuer schwer“ sei gegenwärtig die Partei zusammenzuhalten, analysieren Spitzenleute – sie machen eine wachsende Spaltung aus zwischen Verbalradikalismus West und Volkspartei Ost.

Das ist eine vereinfachte Sicht, denn auch im Osten gibt es Befürworter eines radikaleren Kurses. Der frühere PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow kündigt bereits an, dass er nach der Bundestagswahl darauf drängen will, die inhaltlichen Fragen endlich auszudiskutieren. „Sonst reduziert sich die Linke als politische Kraft“, meint Modrow. Über die von ihm angestrebte Richtung lässt er keinen Zweifel: Berlin mit seiner rot-roten Regierung habe „nicht den Rückenwind gebracht, den wir brauchen“.

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