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Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow waren die erste weibliche Parteispitze bei der Linken.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Linke nach Rücktritt in tiefer Krise: „Einige haben jeden Kontakt zur Realität normaler Leute verloren“

Grabenkämpfe, ein Sexismus-Skandal, nun der Rücktritt der Vorsitzenden – und kein Retter in Sicht. In der Linken wächst die Sorge vor dem Totalabsturz.

Wer kann denn jetzt noch die Linke retten? Schweigen am anderen Ende der Leitung. Und dann: „Wenn ich das wüsste“, „wahnsinnig schwierig“, „wir sind in der tiefsten Krise unserer Parteigeschichte“, lauten die Antworten, wenn man mit Kennern der Partei spricht.

In einer Phase, in der angesichts von Rekordmieten, Armutsangst, hoher Inflation und einer Aufrüstungsspirale klassische Linken-Themen Konjunktur haben könnten, droht die Linke als Partei in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. 

Nach dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow will die Co-Vorsitzende Janine Wissler die Partei vorerst alleine führen – das führt gleich zu dem nächsten Gegrummel in der Partei.

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Hennig-Wellsow, eine Vertraute des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, gibt entnervt auf, während Wissler trotz eines Sexismus-Skandals in ihrem hessischen Landesverband weitermacht.

Kopfschütteln über Janine Wissler

„Das versteht keiner mehr“, sagt ein Parteistratege. Der „Spiegel“ hatte Details zu Wisslers damaligen Lebensgefährten enthüllt, einem Linken-Politiker, der wiederholt Sex mit einer minderjährigen Linken-Politikerin gehabt und diese unter Druck gesetzt haben soll.

Wissler stand mit dem Opfer in Kontakt – ihr wird vorgeworfen, die Vorwürfe von Macht- und sexuellem Missbrauch unter den Teppich gekehrt zu haben. Aber ihre Chancen auf eine längere Zukunft an der Parteispitze werden deshalb intern als gering eingeschätzt. Im Juni beim Parteitag in Leipzig soll eine neue Führung gewählt werden.

Hennig-Wellsow und Wissler waren erst Ende Februar 2021 zur ersten weiblichen Doppelspitze gewählt worden, wirkliche Impulse konnten sie nicht geben. Streit und Hass in der Partei nahmen noch weiter zu, hinzu kamen teils verunglückte Fernsehauftritte, die inhaltliche Defizite offenlegten; so konnte Hennig-Wellsow nicht sagen, in welchen Auslandseinsätzen sich die Bundeswehr befindet – die die Linke bekanntlich ablehnt.

Sie hatte ihren Rücktritt auch mit dem Umgang der Linken mit Sexismus in den eigenen Reihen begründet, ein klarer Seitenhieb auf ihre Co-Chefin Wissler.

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Doch das Problem ist, es fehlen profilierte Politiker für einen Neuanfang – wen man auch fragt: Es drängt sich keine große Lösung auf. Einer ihrer klügsten Köpfe, der Finanzpolitiker Fabio de Masi, hatte im September nicht mehr für den Bundestag kandidiert, auch weil er die ewigen Streits und identitätspolitischen Debatten leid war.

Ein einstiger Hoffnungsträger rechnet ab

Würde es ihn reizen, sich nach dem Rücktritt von Linken-Chefin Hennig-Wellsow um den Vorsitz zu bewerben? Er, der den heutigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) kräftig wegen des Hamburger Cum-Ex-Skandals um die Warburg-Bank triezte und die Aufklärung im Wirecard-Skandal vorantrieb, redet Tacheles auf Tagesspiegel-Anfrage.

„Ich werde auf absehbare Zeit kein politisches Amt anstreben“, betont de Masi. „Der politische Betrieb ist hochgradig krank und ich habe nicht vor, meine Lebenszeit wieder mit Leuten zu verbringen, die jeden Kontakt zur Realität normaler Leute verloren haben.“ Die Marke der Linken sei so beschädigt, dass es einen harten Schnitt brauche.

Dabei sei es gerade jetzt wichtig, dass es eine politische Kraft gebe, „die nicht wie besoffen 100 Milliarden Euro im Beschaffungsfilz der Bundeswehr verbrennt, sondern in Busse und Bahnen auf dem Land sowie die Arbeit der Zukunft investiert“. 

„Der politische Betrieb ist hochgradig krank“

Der bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich hinter Emmanuel Macron und Marine Le Pen Drittplatzierte Jean-Luc Mélenchon habe gezeigt, wie man Alte und Junge zugleich mit linker Politik begeistern könne.

„Die Probleme in Deutschland bei den Sanktionen gegen Oligarchen und der Bekämpfung von Geldwäsche zeigen auch, wie nötig eine Kraft wäre, die nicht vom großen Geld korrumpiert ist“, betont de Masi.

Im Bundestag sind die bekanntesten Vertreter die, die schon lange dabei sind: Dietmar Bartsch (64), Gregor Gysi (74) und Sahra Wagenknecht (52) – letztere hat immer wieder gemahnt, dass die Linke die Sorgen der einkommensschwachen Bürger aus den Augen verliere. Sie kritisierte "Lifestyle-Linke", die in ihrer eigenen Welt leben würden und sich mehr um Themen wie Gendern statt um Empathie und konkrete Politik für die Abgehängten in der Gesellschaft zu kümmern.

Sahra Wagenknecht polarisiert mit vielen Positionen

Wagenknecht polarisiert aber auch mit vielen Positionen, zuletzt mit der Impfskepsis in der Corona-Pandemie – hat allerdings auch eine große Anhängerschaft. Die drei Namen Bartsch, Gysi und Wagenknecht sind jedoch auch mit den diversen Krisen der Partei in den vergangenen Jahren verbunden.

Und bei den großen politischen Krisen hatte die Partei zuletzt keine klare – oder aber eine hochumstrittene – Linie zu bieten. Sei es zur Haltung bei den Maßnahmen in der Pandemie, dann gab es die Enthaltung zum gefährlichen Evakuierungseinsatz von tausenden Ortskräften in Afghanistan und zuletzt die Irrungen und Wirrungen in der Haltung zum russischen Überfall auf die Ukraine und zu Wladimir Putin.

„Der Tod ist uns schon oft vorausgesagt worden“

Linken-Fraktionschef Bartsch wehrt sich aber gegen die grassierende Untergangsstimmung. „Der Tod unserer Partei ist schon oft vorausgesagt worden, zum Beispiel 1990 oder 2002, als wir es nicht in den Bundestag geschafft haben", sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Jetzt gelte es, eine relevante Partei zu bleiben. Das sei nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu schaffen. „Und zwar ohne negativ über die eigene Partei zu reden und sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben.“

Dass die Partei in den Bundesländern viermal in Regierungsverantwortung stehe, sei ein starkes Pfund. „Millionen Menschen haben uns gewählt, für die tragen wir Verantwortung und für die werden wir uns einsetzen – indem wir zusammenstehen.

Interessant: Er stellt sich vor die noch verbleibende Parteivorsitzende Janine Wissler – trotz des Skandals in Hessen. „Ich finde es richtig, dass sie nicht die Abkürzung nimmt und einfach hinschmeißt. Das ist achtenswert.“

Der Linken droht ein Jahr der Niederlagen

Zuletzt kam es auch noch zum Parteiaustritt von Oskar Lafontaine, die Linke flog daraufhin im Saarland aus dem Landtag. Auch bei den Wahlen im Mai in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sowie im Herbst in Niedersachsen könnte die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler, der selbst für fehlende Impulse in der Kritik steht, sieht seine Partei in einer „schwierigen Lage“. „Zu wenig Menschen in der Bundesrepublik vertrauen gerade der Linken, und da müssen wir natürlich dringend dran arbeiten“, sagte er im Deutschlandfunk.

Er ist auch dafür, beim Parteitag im Juni einen ganz neuen Vorstand zu wählen. „Nach der Bundestagswahl haben wir einiges zu klären. Viele Menschen haben uns als uneindeutig wahrgenommen in zwei Fragen: beim sozial-ökologischen Umbau, den wir ja dringend benötigen, als auch bei der Außenpolitik“. Die Partei brauche eine neue Ausstrahlung, auch personell.

Experte vermutet Taktik hinter Hennig-Wellsows Rücktritt

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sieht die Linke inzwischen als destruktive Partei ohne Zukunftsplan. „Jahrelang hat sie sich nur an der SPD abgearbeitet, statt ihr Profil zu schärfen, das reicht nicht.“

Auch der Versuch, die Partei paritätisch und flügeltechnisch aufzustellen, sei mit dem Rücktritt der Gallionsfigur Hennig-Wellsow gescheitert. Hinter ihrem Rücktritt vermutet er auch Taktik:

„Jetzt muss Janine Wissler nachziehen, das kann sie so nicht stehen lassen. Und da sie sich aus eigenen Stücken nicht zu bewegen scheint, helfen Hennig-Wellsow und der pragmatische Flügel nach.“

Sexismus gehöre zum Alltag junger Frauen dazu

Linken-Vorstandsmitglied Daphne Weber betont, dass die Sexismus-Skandale schonungslos aufgearbeitet werden müssten. „Das Problem gibt es in vielen Landesverbänden. Es gibt patriarchale Unkulturen.“

Sexismus gehöre zum Alltag junger Frauen dazu, auch in der Partei, berichtet die 26-Jährige. Sie wolle den Fall in Hessen nicht verharmlosen, aber neu seien solche Vorfälle nicht. „Wir brauchen jetzt Aufarbeitung mit Hilfe externer Expertinnen, von Parteihierarchien unabhängige Ombudspersonen als Anlaufstellen für Betroffene und verbindliche Richtlinien für alle Parteistrukturen.“

Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke sieht die Linke im Gegensatz etwa zu Bartsch in einer absoluten Existenzkrise. „Im Westen ist ihr Schicksal als Splitterpartei bereits besiegelt. Als Partei in der Breite und in den Landtagen ist die Partei erledigt, sie wird nur noch in den Großstädten existent sein.“

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