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Politik: „Links ist doch ganz vernünftig“

Finanzminister Eichel über harte Tarifrunden, Gerechtigkeit, starke Schultern und Blumensträuße für die Oma

Der Geist steht links, Herr Eichel, oder?

Das Herz schlägt links, das Blut ist rot. Und der Rest ist Tarnung.

Warum versteckt sich das Linke?

Ich weiß nicht, was Sie meinen. Links ist doch ganz vernünftig.

Dann stört es Sie auch nicht, dass sich die Wirtschaftsverbände unisono über den Koalitionsvertrag empören?

Wir haben sehr schwierige Jahre vor uns. Und sehr schwierige Entscheidungen zu treffen. Dabei kommt es darauf an, gerecht zu sein. Nur so kann ganz Deutschland diesen Weg mitgehen. Da ist es sehr wichtig, dass die, die etwas mehr tragen können, mehr belastet werden, und die anderen weniger.

Ist es gerecht, Steuern und Schulden zu erhöhen und bei den Ausgaben kaum zu sparen?

Das ist eine falsche Wahrnehmung unserer Politik. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mehr gespart, als wir 1999 eingeplant haben. Zugegeben: Da war auch Glück dabei. Denn die Zinsen waren niedriger als geplant. Wir konnten teure Alt gegen preiswertere Neukredite austauschen. Doch wir sparen ja weiter. Gerade hat sich die Koalition verständigt, im kommenden Jahr 7,4 Milliarden Euro auf der konsumtiven Seite zu kürzen.

Und gleichzeitig die Neuverschuldung um 2,5 Milliarden Euro zu erhöhen.

Unser Ziel, im kommenden Jahr nur 15,5 Milliarden Euro neue Schulden zu machen, basierte auf einer ganz anderen Annahme der Wirtschaftsentwicklung. Und wie jeder sehen kann, setzt der Aufschwung nicht ein. Da ist es doch notwendig, die Konsolidierung eine Etage nach unten zu setzen. Wohlgemerkt: Ohne das Ziel 2006 aus dem Auge zu verlieren. Bei niedrigerem Wachstum muss man eben höhere Schulden hinnehmen, die bei höherem Wachstum dann konsequent wieder ausgeglichen werden.

Beim Lesen des Koalitionsvertrages vermissen wir vor allem das strikte Sparen im System der öffentlichen Verwaltungen.

Erstens bauen wir beim Bund jährlich 1,5 Prozent Stellen ab. Und zweitens setzt dies voraus, dass die Aufgaben des Staates generell überprüft werden. Es funktioniert nicht, wenn vom Staat immer mehr Dienstleistungen erwartet werden. Gleichzeitig sollen diese Aufgaben aber mit immer weniger Geld umgesetzt werden. Um in diesen Bereichen zu sparen, müssen die Strukturen konsequent modernisiert werden. Und das haben wir schon angefangen. Die Reform der Zollverwaltung zum Beispiel hat zahlreiche Zollämter überflüssig gemacht.

Beamte und Angestellte beim Staat müssen aber auch in Zukunft nicht effizienter arbeiten oder auf Zulagen verzichten, die sich in der Wirtschaft nur noch wenige leisten können.

Warten Sie die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ab. Das wird eine sehr harte Runde werden. Und im übrigen ist das ja nicht nur eine Angelegenheit des Bundes sondern auch der Länder. Auch die CDU-geführten Länder haben eine sehr angespannte Haushaltssituation. Und wenn die Länder die harten Einschnitte in diesem Bereich haben wollen, dann warten wir sehr gespannt auf Vorschläge. Der Bund, da können Sie sicher sein, wird sich nicht sperren.

Sind Sie als Finanzminister zufrieden mit dem Konsolidierungskonzept der Koalition?

Da gibt es gar keine Frage.

Obwohl Sie als Buhmann hingestellt wurden?

Das liegt doch in der Natur solcher Verhandlungen, dass ein Finanzminister hier und da sein Veto einlegen muss. Das ist nicht einfach. Oder glauben Sie, ich nenne eine Einsparsumme und alle reichen mir gleich erfreut ihre Vorschläge zu? Wichtig ist doch das Ergebnis. Und das ist gerecht.

Was ist denn gerecht?

Was sozial verträglich ist.

Ist es sozial, die Beitragsbemessungsgrenzen bei Rente und Arbeitslosenversicherung heraufzusetzen und den Menschen damit Geld zu nehmen, das sie eigentlich in ihre private Rentenvorsorge stecken wollten?

Von einer solchen Entscheidung sind Einkommen von mehr als 5100 Euro im Monat betroffen.

Das sind die Leistungsträger der Gesellschaft, von denen Sie Impulse zum Wirtschaftswachstum erwarten – und damit neue Jobs.

Es ist nicht richtig, dass Leistungsträger überwiegend belastet werden. Sie vergessen, dass die Einsparungen im Haushalt vor allem die Bundesanstalt für Arbeit betreffen.

Und da bestimmen die Gewerkschaften mit.

Diese Regierung ist nicht der verlängerte Arm irgendwelcher Interessengruppen. Nicht der Gewerkschaften und auch nicht der Arbeitgeberverbände. Deshalb wird unsere Politik auch nicht immer beklatscht werden von diesen Gruppen. Wir wollen das Gesamtwohl im Auge behalten. Das gefällt vielleicht heute den Industrieverbänden nicht. Und vielleicht schon morgen den Gewerkschaften. Etwa bei der Umsetzung des Hartz-Konzeptes. Da geht es darum, arbeitsfähige Arbeitslosenhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänger gemeinsam möglichst rasch in neue Jobs zu vermitteln. Dazu müssen wir bereits jetzt damit beginnen, die beiden Bereiche aufeinander zu zu führen. Das wird dazu führen, dass die Arbeitslosenhilfe wegen der Finanzlage nicht viel höher als Sozialhilfe sein kann. Tja, und wenn das so ist, dann kann es doch nur gerecht sein, wenn man im Gegenzug an den starken Schultern nicht vorbei geht. Etwa bei der Besteuerung von Aktiengewinnen. Oder bei der Dienstwagenbesteuerung. Davon sind auch die betroffen, deren Schultern breiter sind.

Sollen sich in Zukunft nur noch Besserverdiener Blumen leisten können?

Das ist doch ganz etwas anderes. Die Mehrwertsteuer ist eine Verbrauchsteuer, die jeden Bürger trifft. Ärmere wie Wohlhabendere. Ein ermäßigter Steuersatz sollte deshalb nur für Leistungen und Waren des unmittelbaren täglichen Bedarfs erhoben werden, um die Schwächeren nicht zu stark zu belasten. Was wir jetzt tun, ist aufzuräumen mit einer jahrzehntelangen Praxis, dass immer mehr Lobbygruppen für ihre Produkte auch diese Ermäßigung erhalten haben. Und ein Euro mehr kann einem der Blumenstrauß für die Oma, den Partner oder die Freundin schon wert sein, oder?

Wäre es nicht logisch, den Mehrwertsteuersatz generell anzuheben, und die Ermäßigung nur für Lebensmittel beizubehalten?

Das wäre nicht nur ökonomisch grundfalsch. Wir haben es auch im Wahlkampf versprochen, diese Steuer nicht anzutasten.

Das größere Haushaltsloch in diesem Jahr könnte Sie dazu zwingen, dieses Versprechen nicht einzuhalten.

Auf keinen Fall. Mit mir gibt es keine Mehrwertsteuererhöhung.

Warum haben Sie in der vergangenen Woche die feierliche Vertragsunterzeichnung der Koalition mit dem Eingeständnis gestört, dass das Loch in den öffentlichen Kassen so groß ist, dass Deutschland in diesem Jahr die Maastricht-Obergrenze reißen wird?

Seit ich die Ergebnisse der Steuereinnahmen im September kenne, weiß ich, dass die Prognosen der Experten und unsere eigene für Bund und Länder nicht eintreten werden. Vergessen Sie nicht: Der Maastricht-Vertrag ist keine reine Bundesangelegenheit. Für das Drei-Prozent-Ziel beim Staatsdefizit sind alle Länderhaushalte, die Sozialversicherungen und der Bund gemeinsam verantwortlich. Damit war klar, dass wir das Maastricht-Ziel in diesem Jahr nicht mehr erreichen können.

Das Ziel eines Pakts, den der EU-Präsident als „dumm“ bezeichnet?

Ich weiß nicht, was Romano Prodi gesagt hat und ich kommentiere es auch nicht. Der Vertrag existiert doch in einer Wirklichkeit, die sich ständig verändert. Und der Pakt sieht ja auch vor, dass die Länder, die ihn geschlossen haben, auf unterschiedliche ökonomische Rahmenbedingungen reagieren können und müssen. Und das heißt, dass sie bei einer ausgesprochenen Wachstumsschwäche eben ein höheres Defizit hinnehmen müssen – was im übrigen nach Erreichen des Ziels, also wenn erst einmal alle Länder über einen ausgeglichenen Haushalt verfügen, völlig undramatisch sein wird.

Sind auch die Geldpolitiker der EZB dafür verantwortlich, dass das Ziel der Politiker in Europa eingehalten wird?

Das ökonomische Dreieck besteht aus Lohnpolitik, Geldpolitik und Fiskalpolitik. Und ich wünsche mir eine Europäische Zentralbank, die sich als Teil dieses Dreiecks versteht und verantwortlich agiert.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff und Antje Sirleschtov.

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