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Linkspartei: Vom Rand in die Mitte

Die Linke ist nicht mehr nur Anwalt der Ostens, sondern gewinnt auch im Westteil. Die Partei hat ein gesteigertes Selbstbewusstsein in Berlin gewonnen – und fünf Bundestagssitze.

Sieger kehren bekanntlich immer wieder gern an den Ort ihrer Erfolge zurück. So verwunderte es kaum, dass einen Tag nach der Bundestagswahl die Kulturbrauerei inmitten des Prenzlauer Bergs wie das Ziel einer großen Völkerwanderung anmutete. Wo bis weit in die Morgenstunden die Linken den Sieg in vier Berliner Wahlbezirken gefeiert hatten, versammelten sich auch am Montag Menschen aller Altersgruppen mit Fahnen, Taschen und Aufklebern, die sie eindeutig als Anhänger der Partei auswiesen. Natürlich wollten viele einfach nur ganz nahe ihrer Führungsspitze um Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sein, die sich hier zur Wahlanalyse trafen. Doch der Ort spricht für das gestärkte Selbstbewusstsein der Linken. Sie haben nicht „irgendwo am Rande“ in Marzahn-Hellersdorf, in Lichtenberg oder in Treptow-Köpenick die meisten Stimmen geholt, sondern auch in Pankow. Selbst im Westen überzeugten sie jeden zehnten Wähler.

Als Symbol für den frischen Wind könnte die 36-jährige Halina Wawzyniak gelten, die nicht nur mit ihren blonden Haaren, sondern auf ihrer Internetseite auch mit der Tätowierung „Socialist“ kurz vor dem Hosenbund auffällt. „Ich habe schon im Wahlkampf gespürt, dass wir diesmal vom schwachen Bild der SPD profitieren können“, sagte die studierte Rechtsanwältin. „Viele Menschen suchten einfach nach Politikern, die ihre ganz normalen Bürgerrechte vertreten und landeten dann folgerichtig bei uns.“ Vor allem das konsequente Eintreten gegen die Hartz-IV-Gesetze habe der Linken viel Sympathie verschafft. Sie selbst sei „überglücklich“, über die Landesliste als fünfte Berliner Linke in den Bundestag einzuziehen. Gegen den Grünen Hans-Christian Ströbele hatte die in Königs Wusterhausen geborene Halina Wawzyniak im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg zwar keine Chance, aber immerhin kam sie auf fast 16 Prozent.

Als eine andere Ursache des Erfolgs der Linken sieht Stefan Liebich, der sich in Pankow überraschend gegen Wolfgang Thierse durchsetzte, die „erfolgreiche Beteiligung an der rot-rot-Koalition“. Die Wähler hätten sehr deutlich erkannt, von welcher Partei die entscheidenden Impulse gesetzt würden. „Beim Mindestlohn, der Schulpolitik und beim öffentlich geförderten Beschäftigungssektor waren wir Spitze.“ Obwohl die Politik von Klaus Wowereit nicht ausdrücklich zur Debatte gestanden habe, hätten ihn viele Wähler in gewisser Weise abgestraft.

Die Linke sei schon lange keine Stimme mehr für die Enttäuschten aus dem Osten, meinte die Seriensiegerin aus Marzahn-Hellersdorf, Petra Pau. „Forderungen nach Mindestlöhnen oder sozialer Gerechtigkeit machen nicht an Ortsschildern halt“, sagte sie. Landeschef Klaus Lederer kündigte im Überschwang der Erfolge sogar eine „neue Offensive gegen den Koalitionspartner“ bei der Wahl des nächsten Abgeordnetenhauses 2011 an: „Wir werden überlegen, ob wir nicht voll auf Sieg kämpfen werden.“

Ein am Wahlabend kaum zu hörendes Thema bestimmte für viele Menschen vor allem im Osten ihre Entscheidung: Afghanistan. Die Linken haben offenbar so geschickt die große Problematik am Hindukusch verkürzt, dass für manches Kreuz die Parole „Raus aus Afghanistan“ den Ausschlag gab. „Alle anderen Parteien winden sich bei dieser Frage“, lautete ein häufig zu hörendes Argument. Nicht nur auf diesem Feld wollen die fünf Berliner Linken im Bundestag mächtig auffallen. „Schwarz-Gelb kann sich auf eine Opposition freuen, die sich gewaschen hat“, verkündigte die Siegerin aus Lichtenberg, Gesine Lötzsch. Claus-Dieter Steyer

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