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Politik: Lob der Unauffälligkeit

1200 Festgäste verabschieden den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg – und Erwin Teufel ist ergriffen

Jetzt hat er seinen Abgang doch noch hingekriegt, wie er ihn sich gewünscht hat. „Wenn man sieht, wie Politiker davongejagt werden“, sagt Erwin Teufel, „und dann einen Abschied bekommt wie ein Bürgermeister oder Oberbürgermeister, dann freut es schon, dass die Stadtkultur sich langsam verbreitet.“ Ein schillernder Satz, der viel über den scheidenden baden-württembergischen Ministerpräsidenten verrät, der sich durchaus aus dem Amt gedrängt fühlt und ganz und gar nicht „ohne Bitterkeit“ scheidet, wie er behauptet. Doch der erhabenen Stimmung der 1200 Festgäste in der Staatsoper, die sich in eine Kathedrale der Ergriffenheit verwandelt, will er sich dann doch nicht entziehen.

14 Jahre, zwei Monate und 28 Tage wird er am Dienstag, wenn er seinen Rücktritt einreicht, den Südwesten regiert haben. Laudator Bernhard Vogel hat genau nachgerechnet. Teufel sagt, „ich habe meinen Rücktritt nicht angestoßen, aber ich nehme ihn an“. Auch dies ein bemerkenswerter Satz, der einiges aussagt über das Amtsverständnis des Patriarchen in seinen späten Jahren. Teufel bietet sich selbst seinen Rücktritt an, denkt gründlich nach, und nimmt ihn dann an. Andere haben nicht mitzureden, schon gar nicht Günther Oettinger, der bisherige CDU- Fraktionschef, den Teufel eigentlich in der Prinz-Charles-Rolle versauern lassen wollte, und dem er nun doch seinen Platz überlassen muss.

So vernimmt Teufel mit Freude, dass Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp diplomatisch, aber doch deutlich darauf hinweist, der Regierungschef, „einer der erfolgreichsten Landespolitiker der Bundesrepublik Deutschland“, gehe „auf dem Höhepunkt seines politischen Schaffens“. Früher als andere habe Teufel die Folgen des globalen Wettbewerbs vorausgesehen und deutlich gemacht, dass die Zukunftsfähigkeit eines Landes von seiner Innovationsfähigkeit abhänge. Dann gibt der Daimler-Gewaltige auch noch ein Bekenntnis zum Standort ab: „In einem Land wie Baden-Württemberg und mit einem Ministerpräsidenten wie Teufel fällt es leicht, dem Standort die Treue zu halten.“ Worte, wie in Marmor gemeißelt.

Und es meißeln viele an diesem Tag. Teufel, schwärmt der Schriftsteller Martin Walser, falle dadurch auf, „dass er unauffällig ist“. Und beseelt von tiefem Ernst: „Wenn er sich in lustige Milieus begeben muss, dann wirkt er auf mich wie ein Entführter oder wie eine Geisel in den Händen der Spaßgesellschaft.“ Bernhard Vogel nennt ihn einen Politiker, „der anders ist“. Zum Beispiel belesen: „Kein deutscher Politiker hat so viele Bücher gelesen wie er, nicht einmal Professor Biedenkopf.“ In der Bundespolitik hat Teufel in all den Jahren keine große Rolle gespielt. Auch diesem Umstand gewinnt Vogel Positives ab. Nach Bonn oder Berlin habe es den Bauernsohn aus Zimmern nie gezogen, dem Ehrgeiz anderer kam er nicht in die Quere. „Deshalb hatte seine Stimme Gewicht.“ Vogel erinnert an Teufels Durchsetzungskraft im europäischen Verfassungskonvent. Keiner verkörpere den Gedanken der Subsidiarität, den Vorrang der kleinen Einheit so glaubwürdig.

Der Gelobte ist ergriffen. „Ich durfte sein, wo ich hingehöre.“ Alles erhebt sich, Teufel winkt, er hat es hinter sich. Vorne in der ersten Reihe, aber mit einigem Abstand zu Teufel, erhebt sich auch Günther Oettinger. Er muss noch bangen, am Donnerstag stellt er sich zur Wahl im Landtag. Racheakte sind nicht auszuschließen.

Reiner Ruf[Stuttgart]

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