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Lockerbie-Täter: Gekaufte Gutachten und Lobby-Geflüster

Der britische Justizminister gibt zu, dass Geschäftsinteressen zur Freilassung von Lockerbie-Täter führten.

Neue Enthüllungen in den britischen Sonntagszeitungen haben die Kontroverse über die Freilassung des Lockerbie- Bombers Abdelbaset Ali al-Megrahi angeheizt. Leidtragender ist Premier Gordon Brown, dem in der Krise Führungsschwäche, Unehrlichkeit und Doppelzüngigkeit vorgeworfen wird. Damit habe er vor allem den Beziehungen mit den USA bleibenden Schaden zugefügt. Schattenaußenminister William Hague sprach am Sonntag von „erstaunlichen Enthüllungen“ und forderte erneut eine parlamentarische Untersuchungskommission. In den Zeitungen wird erneut über einen Labour-Putsch gegen Premier Brown im Herbst spekuliert.

Bald drei Wochen nach Megrahis Freilassung wird immer klarer, wie Libyen Druck auf die britische Seite ausübte. Laut dem „Sunday Telegraph“ bezahlte Libyen die Gutachten von drei Krebsärzten und „ermutigte“ die Ärzte, die Überlebensaussichten des an Prostatakrebs erkrankten Megrahi auf nicht mehr als drei Monate anzusetzen – der Zeitraum, der nach schottischen Gesetzen eine Begnadigung aus humanitären Gründen ermöglichte.

Die „Sunday Times“ berichtet, Brown selbst habe den Versuch blockiert, von Libyen Entschädigung für IRA-Terroranschläge einzufordern, die in den achtziger Jahren mit von Libyen geliefertem Sprengstoff verübt wurden. Großbritannien halte es nicht für „angebracht“ mit Libyen darüber in Verhandlungen zu treten, schrieb Brown an Vertreter der 2500 IRA Opfer.

Am Freitag gab Justizminister Jack Straw zu, Öl habe tatsächlich eine Rolle bei der Freilassung gespielt und widersprach damit direkt Versicherungen Browns. Und er bereue nichts, sagte Straw in einem Interview mit dem „Sunday Telegraph“. Der Lobbyist des Ölkonzerns BP, Sir Mark Allen, ehemals Chef für Terrorabwehr beim Auslandsgeheimdienst MI6, rief im November 2007 zweimal bei Straw an, weil Libyen drohte, einen Ölförderungsvertrag mit BP mit einem Volumen von 900 Millionen Dollar zu stornieren, wenn Megrahi nicht freigelassen werde. Sechs Wochen später ließ Straw seine Vorbehalte gegen die Einbeziehung Megrahis in einen Gefangenenaustausch fallen. Den USA wurde indes weiter versichert, Megrahi werde seine gesamte Haftzeit in Schottland verbringen. Empörte US-Senatoren wollen eine Untersuchung der Freilassung. Beobachter auf beiden Seiten des Atlantiks sprechen vom schwersten Rückschlag für die „special relationship“ seit Jahrzehnten. Aber andere sind nüchterner. Der „Independent“ berichtet am Sonntag über das erste libysch-britische Geheimtreffen 2003 in einem Londoner Club und erinnert daran, dass die Annäherung mit Libyen nach dem Irakkrieg nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen angebahnt wurde. Weil im Irakkrieg keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, suchten die Kriegspartner George W. Bush und Tony Blair nach anderen Rechtfertigungen für den Krieg. Die Bereitschaft Gaddafis, auf sein Atomprogramm zu verzichten – das nicht besonders weit gediehen war – wurde als positiver Effekt des Krieges hingestellt. Laut dem früheren britischen Libyen-Botschafter Oliver Miles hat Blair selbst damals eine Freilassung Megrahis ins Gespräch gebracht.

Die schottische Landesregierung hatte den schwer krebskranken Megrahi vor mehr als zwei Wochen begnadigt und in seine Heimat entlassen. Der Libyer war 2001 wegen des Anschlags auf ein Flugzeug der US-Linie PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bei dem Attentat im Dezember 1988 kamen 270 Menschen um. Brown hatte bisher alle Vorwürfe zurückgewiesen, dass Ölgeschäfte eine Rolle im Lockerbie-Fall gespielt hätten.

Matthias Thibaut

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