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Politik: Löcher stopfen – mit Vorurteilen

SOLLEN REICHE ZAHLEN?

Von Ursula Weidenfeld

Wenn es nach den deutschen Gewerkschaften und einer wachsenden Zahl sozialdemokratischer Mandatsträger ginge, hätte das Land auf einen Schlag ein paar Probleme weniger. Besteuert einfach die Reichen, raten die Chefs der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der Metaller und der Bauleute der Regierung, um eure Haushaltsprobleme zu lösen. Mit dem Vorschlag treffen sie nicht nur bei der eigenen Klientel, sondern auch in der SPDFraktion, bei Landesregierungen und in weiten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung, der Rentner und Pensionsempfänger, der Beamten und Eltern auf große Zustimmung. Besteuert doch einfach die Reichen – schließlich tut es denen weniger weh, wenn ihnen etwas mehr genommen wird.

Vermögen werde überall in der Welt besteuert, nur in Deutschland nicht, sagt SPD-Generalsekretär Olaf Scholz. Warum weigert sich die Regierung noch, die Vermögensteuer wieder einzuführen und bei den Erben stärker zuzulangen? Warum soll der Spitzensteuersatz trotz der Misere ab 2005 auf 42 Prozent sinken, statt bei 48 Prozent zu bleiben? Es wäre doch das Einfachste, da zu nehmen, um die Einnahmen des Staates zu sanieren. Wäre pragmatisch und schnell umzusetzen. Wäre das Gerechteste, argumentieren die Arbeitnehmervertreter.

Doch die Regierung ist gut beraten, konsequent zu bleiben. Die Reichensteuer würde nicht funktionieren. Wie einfach und pragmatisch es ist, Reiche stärker zu besteuern, zeigt die bisherige Steuerpraxis. In seinem Bundesland habe er die meisten Millionäre, aber er kenne keinen, der seine Steuern auch zahle, hat Hamburgs ehemaliger Oberbürgermeister Henning Voscherau gesagt. Kaum einer, der den Höchststeuersatz zahlen sollte, zahlt ihn tatsächlich. Deutschland leistet sich immens hohe nominale Steuersätze – und muss gleichzeitig den Sport der Steuerberater und Vermögenden, das „Null-Euro-fürs-Finanzamt“-Spiel zulassen. So widersinnig es klingt: Wer unter dem Strich mehr Steuern und Abgaben von den Leistungsfähigeren und Reichen der Gesellschaft bekommen will, der muss zuerst deren Steuerlast senken und die Anreize reduzieren, sich der Finanzierung des Gemeinwesens zu entziehen. Die Erfahrung zeigt, dass die deutschen Steuerzahler eine Belastung bis zur Höhe von 40 Prozent des Einkommens für akzeptabel halten. Daran orientiert sich die Bundesregierung. Wer jedoch nur die Ausnahmen abschafft, nimmt in Kauf, dass die Steuermoral noch stärker zerfällt.

Pragmatisch ist der Vorschlag, die Reichen und Leistungsfähigen stärker zu besteuern, auch nicht: Denn um tatsächlich ordentliche Einnahmen aus der Erbschaft- und Vermögensteuer zu bekommen, müsste der „Reichtum“ in Deutschland da beginnen, wo man bislang den selbstständigen Mittelstand und die angestellte Mittelschicht vermutet hat. Das Eigenheim und den Kleinbetrieb im Erbfall unangetastet zu lassen, wird dann nicht mehr funktionieren. Vermögen unter einer Million Euro müssten dann auch zur Steuer veranlagt werden.

Dann gibt es noch den tiefen, den grundsätzlichen, den gefährlichen Fehler im Denkmodell, den Reichtum der Reichen gemeinschaftlich aufzuessen: Armut ist empörend, sagen die Gewerkschaften. Aber ist Reichtum empörend? Ist es unmoralisch, reich zu sein? Muss sich derjenige, der viel leistet oder dessen Eltern und Großeltern viel geleistet haben, schämen – und wie viel Geld muss er bußfertig abliefern? Die Antwort auf diese Fragen entscheidet darüber, wie viel Ungleichheit eine Gesellschaft zulässt, wie viel Verschiedenheit sie erträgt. Sie entscheidet darüber, wie viel Dynamik, Motivation, Ehrgeiz eine Gesellschaft und ihre Wirtschaft antreiben.

Diese Antwort bleiben die Gewerkschaften und der SPD-Generalsekretär schuldig. Seelenruhig fördern Regierung und Opposition, Sozialethiker und Sozialpolitiker seit Monaten die Polarisierung: zwischen Rentnern und Jungen, Reichen und Armen. Die Ungleichheit wird immer schmerzhafter und auf den Streit reduziert, wer mehr und wer weniger zahlen soll. Die zur Zeit populäre Antwort – mehr Umverteilung von oben nach unten – aber hat langfristig nur einen Effekt: weniger Freiheit. Die Parole, nehmt von den Reichen, macht uns alle ärmer.

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