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Luftschlag in Afghanistan: Karsai empört sich über Deutschland

Mit harten Worten hat der afghanische Präsident den Luftangriff auf die Taliban verurteilt. Die Zahl der Opfer liegt offenbar weit höher als bekannt.

Bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff im nordafghanischen Kundus sind nach Angaben des Distrikt-Gouverneurs mindestens 135 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Der Gouverneur von Char Darah, Abdul Wahid Omarkhel, sagte der Nachrichtenagentur dpa am Montag, er habe eine Liste der Opfer erstellt und der Delegation von Präsident Hamid Karsai übergeben, die den Vorfall untersucht.

Es sei unklar, wie viele der Toten Zivilisten gewesen seien. Unter den Opfern sei aber eine große Anzahl Kinder im Alter zwischen 10 und 16 Jahren. Auch die Nato-Schutztruppe Isaf untersucht den Luftangriff, den die US-Luftwaffe in der Nacht zum Freitag auf deutsche Anforderung hin flog. In unmittelbarer Nähe der zwei Tanklastwagen befanden sich dabei Dutzende Menschen – nicht nur Taliban, die die Laster gekidnappt hatten, sondern wohl auch Afghanen, die das von den Taliban abgelassene Benzin auffangen wollten.

Ein Mitglied der Karsai-Delegation, das anonym bleiben wollte, bestätigte den Erhalt der Liste. Die Angaben würden überprüft, hieß es. Gouverneur Omarkhel sagte nach Gesprächen mit Stammesältesten und Dorfbewohnern, 107 Menschen aus dem Distrikt Char Darah seien getötet worden. 15 weitere Opfer seien aus der Provinz Baghlan gewesen, die neben Kundus liegt. Mehr als zwölf der Toten stammten aus dem Distrikt Ali Abad, der an Char Darah grenzt. Die Fremden hätten sich zum Zeitpunkt des Angriffs in Char Darah aufgehalten. 27 Menschen hätten die Explosion der Bomben verletzt.

Laut mehrerer Zeitungen gingen erste Schätzungen der Nato-Untersuchungskommission von rund 125 Toten aus, davon mindestens zwei Dutzend Zivilisten.

In einem Zeitungsinterview kritisierte Karsai den Luftangriff und damit auch die dafür verantwortliche Bundeswehr scharf. "Was für eine Fehleinschätzung! Mehr als 90 Tote für einen einfachen Tankwagen, der in dem Flussbett zudem bewegungsunfähig war", entrüstete er sich in der Pariser Tageszeitung Le Figaro. "Warum haben sie nicht Bodentruppen geschickt, um den Tanker zurückzuholen?"

Ebenso heftige Kritik hatte es aus ganz Europa gegeben. "Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten", empörte sich der schwedische Außenminister Carl Bildt als EU-Ratspräsident. Auch in Deutschland folgte eine heftige Debatte, auch über den Bundeswehreinsatz am Hindukusch. Am Dienstag soll es in Berlin eine Protestkundgebung von Kriegsgegnern geben.

Erst kürzlich hatten USA und Nato ihre taktischen Prioritäten in Afghanistan geändert: Die neue Linie sieht vor, dass nicht die Zahl getöteter Aufständischer wichtig sei, sondern der Schutz von Zivilisten.

Karsai sagte, der oberste Nato-Kommandeur in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal, habe sich bei ihm telefonisch entschuldigt. Gleichzeitig habe er aber gesagt, dass er den Bombenangriff nicht angeordnet habe. Sogar die Taliban forderten von den Vereinten Nationen eine unabhängige Untersuchung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Sonntag eine rasche Aufklärung des Vorfalls versprochen. Sie will sich am Dienstag im Bundestag erklären. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) rückte am Montag von seiner strikten Aussage ab, bei dem Luftangriff habe es keine zivilen Opfer gegeben und es seien nur etwa 50 Taliban getötet worden. Eindeutig scheine ihm, "dass der überwiegende Anteil Taliban gewesen sind", sagte Jung im ZDF. Der Minister hält den Einsatz aber unverändert für "militärisch notwendig".

Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU) wies Kritik an der Informationspolitik des Ministeriums zurück, räumte aber ein, das Ministerium habe sich kurz nach dem Angriff "zu Beginn in schneller Information auf afghanische Quellen gestützt und verlassen, die sich nun nicht als 100 Prozent bestätigt herausstellen", sagte Schmidt.

Bei einem Raketenangriff auf die afghanische Hauptstadt Kabul starben unterdessen ein Ehepaar und dessen Tochter. Zwei weitere Töchter seien verwundet worden, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Raketen seien in der Nacht zu Montag im Westen der Stadt in einem Wohnhaus eingeschlagen. Die Taliban greifen Kabul immer wieder mit Raketen an. Meistens sterben durch die Angriffe mit verhältnismäßig kleinen Geschossen aber keine Menschen.

Die Isaf teilte am Montag mit, drei ihrer Soldaten seien im Süden Afghanistans getötet worden. Ein Soldat sei nach einem Feuergefecht am Sonntag mit Aufständischen an seinen Verletzungen gestorben. Zwei weitere Soldaten seien ebenfalls am Sonntag bei einem Anschlag getötet worden.  

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa

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