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Politik: Man nennt es Zivilisation

Von Rüdiger Schaper

Nein, so weit sind wir hier noch nicht: Wer in Kairo ein Theater besucht, muss durch die Sicherheitsschleuse, wie auf dem Flughafen. Jeder Tourist in Ägypten weiß um die Gefahr des islamistischen Terrors, gegen den der Staat überall Militär und Polizei aufbietet. Im Iran wiederum dürfen Schauspielerinnen nur mit Kopftuch auf die Bühne, und die körperliche Berührung von Männern und Frauen ist im Spiel dort verboten. Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahren auch in islamisch geprägten Ländern eine experimentelle Szene entwickelt: Künstler suchen die Nähe zur westlichen Moderne, wagen sich an politische und religiöse Tabus.

Seltsam aber, wie die Welten sich annähern. In Diktaturen mühen sich Autoren und Regisseure in kleinen Schritten um offenere Formen, während hierzulande dieses höchste Gut der Kunst- und Meinungsfreiheit zumindest nicht mehr so ganz selbstverständlich erscheint. Denn darum geht es in der Auseinandersetzung um die Deutsche Oper in der deutschen Hauptstadt und die Absetzung der Mozart-Inszenierung mit den abgeschlagenen Köpfen der Religionsstifter Buddha, Jesus und Mohammed: Welchen Spielraum leisten wir uns? Lassen wir uns von einem eingebildeten, jedenfalls noch recht abstrakten Bedrohungsszenario einschüchtern? Ist die abgesagte Wiederaufnahme einer Opernproduktion aus dem Jahr 2003 nicht ein unverhoffter Erfolg für fanatisch-religiöse Hardliner – just in dem Moment, da sich in Berlin die Islamkonferenz zusammenfindet? Ein muslimisches Wort zum exemplarischen Mozart-Fall wäre äußerst hilfreich. Es droht der Konferenz sonst, wie so häufig, ein Austausch wohl gesetzter Phrasen.

Die Sicherheitslage hat sich mit der Entscheidung der Opernchefin Kirsten Harms allerdings kein Stück verbessert. Im Gegenteil: So wird der Blick jetzt erst auf eine einzige Szene gelenkt, die bisher schlimmstenfalls einige Opernbesucher irritierte. Kunst muss so sein: scharf, politisch, aufwühlend. Brecht und Ibsen, auch sie in diesem Jahr wie Mozart Jubilare des Kulturbetriebs, haben Fragen gestellt: über den Kapitalismus und die Stellung der Frau. Von Schiller bis Hochhuth: Fast lästig ist es, daran zu erinnern, dass die deutsche Bühne auf den Freiheitsdrang ihre Existenz gründet. Und daher auch die vielen Millionen Steuergelder, die in die Staatstheater fließen. Arthur Millers „Hexenjagd“ wäre das Stück der Stunde – die Darstellung eines christlich verbrämten, tödlichen Fanatismus.

Erdrückend einhellig fällt die Ablehnung der freiwilligen Opernkontrolle aus. Der Bundesinnenminister, der Kulturstaatsminister, die Akademie der Künste, Regisseure und Politiker attackieren die Intendantin in der Bismarckstraße. Die Geduld scheint aufgebraucht, zu lange schon besetzt das Thema Islamismus die Köpfe. Es hat jetzt das Zentrum des kulturbürgerlichen Selbstverständnisses erreicht: die Oper. Man möchte allerdings auch nicht in der Haut der viel gescholtenen Intendantin stecken. Sie hat, von Senat und Polizei ungenügend beraten, eine Risikoabwägung vorgenommen und sich vollkommen verschätzt. Das sieht nicht professionell aus. Seit der Wende wird immer wieder debattiert, ob sich Berlin drei Opernhäuser leisten könne. Jetzt kommt die Frage dazu: Dürfen wir uns noch zeitgenössische Regie erlauben?

Der Kampf der Kulturen, den wir erleben, ist ein spezieller: Es ist der Kampf unserer freiheitlichen, freizügigen Kultur mit sich selbst. Man spürt bereits schmerzhaft die Einschränkung, wenn ein langer Opernabend, in den Orchestermusiker, Sänger, ein Dirigent, ein Regisseur und viele andere ihre Kraft und Kreativität stecken, auf ein Detail reduziert wird. Wenn ein benediktinischer Vortrag auf ein Zitat zusammenschrumpft. Solch ein bigottes Absuchen von Kunstwerken nach „Stellen“ ist der größte Schaden.

Auf seine Art zeigt auch Hans Neuenfels in seinem gebrandmarkten „Idomeneo“: Die westliche Gesellschaft hat sich radikal des religiösen Diskurses entledigt. Den Unterschied muss man sehen, er ist in diesem Krieg der Köpfe entscheidend: Anderswo werden Menschen enthauptet, in der Oper Puppen. Man nennt es Zivilisation.

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