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Afghanische Demonstranten verbrennen in Dschalalabad eine US-Präsident Barack Obama nachempfundene Puppe.

© dapd

Update

Massaker in Afghanistan: Blutige Vergeltung nach Amoklauf von US-Soldat

Nach der Bluttat mit 16 afghanischen Zivilopfern haben die Taliban zurückgeschlagen: Im Süden des Landes attackierten sie eine Regierungsdelegation, ein Mann kam ums Leben. Derweil droht dem beschuldigten US-Soldaten die Todesstrafe.

Nach dem Amoklauf eines US-Soldaten im Süden Afghanistans haben radikalislamische Taliban am Ort des Massakers das Feuer auf eine Regierungsdelegation eröffnet. Zu der am Dienstag beschossenen Abordnung gehörten auch zwei Brüder von Präsident Hamid Karsai, die aber unverletzt blieben. In der Stadt Dschalalabad im Osten des Landes kam es gleichzeitig zu den ersten größeren Protesten nach der Bluttat, bei der am Sonntag 16 Zivilisten ums Leben kamen. Dem mutmaßlichen Schützen droht nach Angaben von US-Verteidigungsminister Leon Panetta die Todesstrafe. Trotz des Vorfalls wollen die Vereinigten Staaten aber an ihrer Afghanistan-Strategie festhalten.
Der blutige Vergeltungsangriff am Dienstag nährte ebenso wie andere Proteste die Sorge, dass es zu einer ähnlichen Serie von Ausschreitungen kommen könnte wie nach den versehentlichen Koranverbrennungen durch US-Truppen im Februar.

Die Regierungsdelegation war bei einer Gedenkveranstaltung in einer Moschee, als die Schüsse fielen. Ein Soldat, der zum Schutz der Delegation im Dorf Balandi abgestellt war, kam ums Leben. Ein weiterer Soldat und ein Militärstaatsanwalt wurden verwundet, wie der Polizeichef der Provinz Kandahar mitteilte. Nach Angaben eines der Brüder des Präsidenten, Kajum Karsai, sind alle Mitglieder der Delegation in Sicherheit und bereits auf dem Rückweg nach Kandahar.

Zuvor hatte die Abordnung noch Entschädigungszahlungen von 2.000 Dollar für jeden Toten und 1.000 Dollar für jeden Verletzten in der Gegend verteilt, deren Bewohner der Regierung vielfach vorwerfen, sie verteidige die Amerikaner. In den Dörfern im Süden machten die Bewohner ihrem Ärger Luft und auch in Dschalalabad im Osten riefen hunderte Studenten Parolen gegen die USA. Sie skandierten unter anderem "Tod für Amerika" und forderten Karsai auf, ein mit den USA geplantes Militärabkommen nicht zu unterzeichnen. Zugleich verlangten sie, den mutmaßlichen Amokläufer in Afghanistan vor Gericht zu stellen.

Zuvor hatte Panetta erklärt, der des Mordes an den 16 afghanischen Zivilisten beschuldigte US-Soldat werde sich vor einem Militärtribunal verantworten müssen. Bei einem Schuldspruch müsse der ausgebildete Scharfschütze, dessen Motiv weiter unklar ist, auch mit einem Todesurteil rechnen.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta schließt die Todesstrafe für den Amokschützen nicht aus.
US-Verteidigungsminister Leon Panetta schließt die Todesstrafe für den Amokschützen nicht aus.

© AFP

Der 38 Jahre alte US-Soldat hatte am Sonntag bei einem Amoklauf in der südafghanischen Provinz Kandahar 16 Dorfbewohner in ihren Häusern getötet, darunter drei Frauen und neun Kinder, und war anschließend festgenommen worden. Die radikalislamischen Taliban schworen Rache für das Massaker und ließen über einen Sprecher die Forderung verbreiten, US-Soldaten sollten enthauptet werden. Das afghanische Parlament verlangte einen öffentlichen Gerichtsprozess, in dem "die Verantwortlichen vor dem afghanischen Volk verfolgt und verurteilt" werden sollten. Diese Forderung lehnte Pentagon-Sprecher George Little umgehend ab.

Little zufolge war der seit elf Jahren in den Streitkräften dienende Unteroffizier erstmals in Afghanistan stationiert, davor war er drei Mal im Irak im Einsatz. Bei seinem letzten Einsatz im Irak habe der verheiratete Familienvater bei einem Autounfall eine Kopfverletzung erlitten, verlautete aus Militärkreisen. Wie schwer die Verletzung war und ob ihre Folgen möglicherweise etwas mit dem Amoklauf zu tun haben, blieb zunächst unklar. Der Unfall habe sich damals nicht in einer Kampfsituation zugetragen, hieß es. Nach Angaben des Pentagons nehmen Ermittler derzeit die Personalakte und Krankengeschichte des Schützen unter die Lupe. Der Name des Mannes soll erst mit Klageerhebung bekannt gegeben werden.

Ungeachtet des Amoklaufs wollen die USA an ihren Plänen festhalten, ihre Kampftruppen bis Ende 2014 aus Afghanistan abzuziehen. Der Abzug der US-Truppen müsse auf "verantwortungsvolle Art und Weise" erfolgen, um zu verhindern, "dass wir am Ende wieder zurückkehren müssen", sagte Obama in einem TV-Interview. Auf keinen Fall dürfe es zu einem überstürzten Abzug kommen. Die Afghanen müssten zuvor in der Lage sein, ihre Grenzen selbst zu verteidigen und eine Rückkehr von El Kaida zu verhindern.

Zugleich unterstrich Obama aber auch das Ziel, "dass wir nicht länger bleiben als wir müssen". Nach mehr als einem Jahrzehnt sei die Zeit reif, zumal die Tötung von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden die Terrororganisation geschwächt habe. "Wir sind in einer stärkeren Position für den Übergang als wir es vor drei oder vier Jahren gewesen wären." Das Blutbad unter den afghanischen Zivilisten bezeichnete Obama als "absolut herzzerreißend und tragisch". Allerdings sei der Amoklauf ganz offensichtlich die Aktion eines Einzeltäters gewesen und spiegele "in keiner Weise die enormen Opfer wieder, die unsere Männer und Frauen in Afghanistan erbracht haben".

Der Amoklauf hat die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Afghanen und den USA weiter verschlechtert. Neben dem Parlament in Kabul bezeichnete auch Präsident Hamid Karsai die Tat als "unverzeihlich". Washington warnte vor gewaltsamen Protesten in Afghanistan, Stammesführer in Kandahar riefen ausdrücklich zum Gewaltverzicht auf.

(AFP/dapd/rtr)

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