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Massenproteste: Der letzte Stoß für Mubarak

Wenn er sich retten will, dann sollte er jetzt verschwinden, rät die Opposition Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak. Vor einer Woche waren es zehntausend Demonstranten, nun sind es Millionen, die ihr Land endlich befreien wollen.

Nervenkrieg am Nil. Das Ringen zwischen dem starrsinnigen Diktator und seinem Volk geht in die nächste Runde. Den ganzen Tag strömten die Menschen aus allen Himmelsrichtungen auf den Tahrir-Platz – am Ende waren es mehr als zwei Millionen. Am Abend trat Hosni Mubarak vor die Kameras und gab seine Antwort: „Ich habe meinem Land ein Leben lang gedient und werden auf ägyptischem Boden sterben“, sagte er. Und richten werde ihn allein die Geschichte. Die einzige Konzession des schwer Krebskranken: Er werde im September nicht zum sechsten Mal bei den Präsidentschaftswahlen antreten, versprach Verfassungsänderungen und Arbeitsprogramme für die Jugend. Kein Wort von Rücktritt, kein Wort zu dem Aufstand des ganzen Volkes gegen sein Regime.

Schon vor Sonnenaufgang hatten sich die Menschen zu Fuß auf den Weg gemacht – Frauen, jung und alt, verschleiert und unverschleiert, Herren im Nadelstreifenanzug und Männer in Bauarbeiterkluft sowie viele Kinder, die diesen Tag an der Hand ihrer Eltern miterleben wollen.

Bereits am Mittag war der Platz gerammelt voll, die gesamte Innenstadt Kairos quoll über von den Massen. „Wenn er seine Haut noch retten will, sollte Mubarak jetzt verschwinden“, ließ Gegenspieler Mohamed al-Baradei am Morgen per Zeitungsinterview ausrichten und setzte dem 82-Jährigen ein Ultimatum bis spätestens Freitag. An einem der Ampelmaste auf dem Tahrir-Platz baumelt bereits eine Mubarak-Puppe.

Vor genau einer Woche hatte hier alles als „Tag des Zorns“ begonnen unter den Augen der Bronzestatue von Omar Makram, dem ägyptischen Freiheitskämpfer gegen Napoleon. Letzten Dienstag waren es nur Zehntausend, jetzt sind es Millionen. Damals hatten sie Angst vor der berüchtigten schwarzen Sonderpolizei, heute sind die Prügelbrigaden mit ihren Tränengasgranaten verschwunden und Menschen campieren friedlich auf den Grünflächen wie bei einem Pop-Konzert. Einzig das Militär kontrolliert ruhig und freundlich die Zugänge auf den Platz zusammen mit den Ordnern der Volksbewegung.

Am Abend zuvor hatte Ismail Etman, Sprecher der Armee, im staatlichen Fernsehen bereits den Ton gesetzt. Die Anliegen des „großen ägyptischen Volkes“ seien legitim und die Armee werde nicht auf die Menschen schießen, erklärte er. Kurz danach antwortete das bedrängte Regime durch den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Man werde „umgehend“ den Dialog mit allen politischen Gruppen suchen und politische Reformen einleiten, verkündete er eine Stunde vor Mitternacht. „Bevor Mubarak nicht weg ist, gibt es nichts zu verhandeln“, ließ ihn die Oppositionsbewegung in einer Erklärung abblitzen. Sie war nur zwei Zeilen lang.

Seitdem scheinen innerhalb der Staatsmacht die Fronten geklärt. Die Armee ist nicht bereit, das Regime durch Gewehrkugeln zu retten. Sie versteht sich allein als Bollwerk gegen Chaos und Anarchie. Mit der aufmüpfigen Bevölkerung aber fertig werden, das müssen aus Sicht der Generäle Mubarak und seien Getreuen allein - durch politische Zugeständnisse an die Opposition und durch Reformen.

Vorerst versuchte es die Regierung eher mit Schikanen. So wurde am Dienstag der gesamte Zugverkehr im Land stillgelegt, bei Internet und SMS ist Ägypten seit Tagen total von der Außenwelt abgeschnitten. Polizei und Militär sind angewiesen, an den Überlandstraßen die Busse Richtung Befreiungsplatz aufzuhalten. Das Stadtzentrum ist weiträumig für Autos abgesperrt. Mitglieder der Staatssicherheit in Zivil haben offenbar den Auftrag, sich unter Demonstranten zu mischen und für Unruhe zu sorgen. Am Morgen nahmen Ordner der Volksbewegung in einer kleinen Moschee nahe dem Platz eine junge, voll verschleierte Frau fest, die ein langes Messer bei sich hat. Zwei kräftige Typen zerrten mit den Worten „du hast hier nichts zu suchen“ einen schmalen Mann Richtung Ausgang. Einen Festgenommenen können Soldaten gerade noch in einen Minibus sperren, bevor ihn die wütende Menge zu fassen kriegt.

An allen Eingängen werden die Ausweise kontrolliert, denn bei Polizisten und Geheimpolizisten ist ihr Beruf im Personalausweis vermerkt. Am Mittag ordnet die Militärführung für alle Soldaten vor Ort an, die Farbe der Uniformen zu wechseln. Über die Lautsprecher des Tahrir geht die Warnung, es seien falsche Soldaten in gestohlenen Uniformen unterwegs. Gleichzeitig organisiert Mubaraks Regierungspartei NDP vor dem nahe gelegenen Fernsehgebäude und hinter einer dichten Riege von Panzern eine Gegendemonstration. „Lang lebe Mubarak“, schallt es in die Abendstunden über den Nil. Und: „Die sind stark, wir aber sind stärker.“ Nur der Präsenz der Soldaten ist es zu verdanken, dass die beiden Lager nicht aufeinander losgehen.

Und so ruhen alle Augen an diesem Tag auf der ägyptischen Armee. Dass sie sich so volksnah und friedlich gibt, geht sicher auch auf amerikanischen Druck zurück. Denn die Zeit der modernen F-16 Kampfjet und M1-Abrams-Panzer am Nil dürfte ein für allemal vorbei sein, sollte die Armee ihre teuren Kanonenrohre auf das eigene Volk richten.

Zwei Milliarden Dollar pumpt Washington jährlich in das Staatsbudget Ägyptens, der Löwenanteil geht für Waffen und Ausrüstung an die Armee. Nach Israel ist Ägypten weltweit der zweitgrößte Empfänger von regelmäßigen Hilfsgeldern aus Washington.

Am Dienstag traf der Sondergesandte von Präsident Barack Obama und frühere US-Botschafter in Kairo, Frank Wisner, mit Mubarak zusammen, um „dessen Standpunkt zu erfahren“, wie es sybillinisch aus dem Weißen Haus hieß. Und jeden Abend um 20 Uhr trifft sich inzwischen ein General mit dem Komitee der Volksbewegung an dem beigen Panzer, der am Eingang der Talat Harb Straße steht, „um den nächsten Tag zu besprechen“. Mehrere Offiziere waren am Montagabend sogar auf dem Platz unterwegs, um die Demonstranten vor Provokateuren der Polizei zu warnen. „Seid so friedlich wie möglich. Wenn die anfangen zu schießen, müssen wir eingreifen, also kontrolliert die Leute ganz genau“, beschworen sie die jungen Helfer. „Sonst kommen wir alle in Teufels Küche.“

Eine von den Aktivisten ist Jasmin Saleh. Sie hat vom vielen Reden fast keine Stimme mehr, als sie heiser von den dramatischen Verhandlungen berichtet. „Die Armee hat uns verboten, zum Präsidentenpalast zu ziehen, dann könne sie für unsere Sicherheit nicht mehr garantieren“, sagt die 29-Jährige mit blauer Jeansmütze und rosa Pullover. Zehn Kilometer ist das Palastareal Mubaraks vom Tahrir-Platz entfernt. „Wenn du nicht gehst, dann kommen wir zu dir“, steht auf vielen Plakaten, die die Menschen mit sich tragen. Andere haben sich bereits in weiße Leichentücher gehüllt.

Am Abend tauchen an den Ausgängen des Platzes junge Leute mit weißen Schildern auf, in den internetlosen Zeiten ein altmodischer Ersatz für Facebook und Twitter. Geht nach Hause und macht ein Plakat mit den Worten „Hau ab, hau ab“ an eurem Balkon, heißt die Anweisung für die kommende Nacht. Der Marsch zum Palast ist aufgeschoben bis zum Freitag – „dem Tag der Abreise“, wie die Demonstranten ihn jetzt nennen. Die Rede Mubaraks quittieren sie mit Pfiffen und Buhrufen.

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