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Politik: Maut- und Klauenseuche

DEUTSCHES LEHRSTÜCK

Von Tissy Bruns

Das Kündigungsschreiben ist überreicht, das Leiden hat trotzdem kein Ende. Es wird weitergehofft, dass es in den knapp zwei Monaten Restzeit doch noch etwas werden könnte mit dem Mautsystem, für das die deutschen Konzerne Daimler-Chrysler und Telekom den Staat so begeistern konnten, dass er darüber einen unfassbar nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. Kann sein, dass die satellitengestützte Maut ein Exportschlager der deutschen Wirtschaft wird, irgendwann einmal. Jetzt kann man sich nur wünschen, dass Staat und Toll Collect wirklich auseinander gehen. Die Maut ist ein herausragendes Lehrstück geworden – nur ganz und gar nicht das erhoffte. Es zeigt, dass manchmal erst etwas zu Ende gehen muss, bevor das Neue wirklich beginnen kann.

Warum ist die Maut so grandios gescheitert? Weil die Beteiligten den Weg zu einer modernen Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft mit dem mentalen und geistigen Rüstzeug des alten rheinischen Kapitalismus beschritten haben. Den zeichnet, neben gewissen Vorzügen, die tiefe Überzeugung aus, dass am Ende der Staat alles richten muss und wird. Dass die Gewerkschaften im Übermaß zu dieser Ansicht neigen, zählt zum gängigen Allgemeinwissen über die deutschen Probleme mit Arbeitslosigkeit und Wachstum. Dass es bei deutschen Spitzenunternehmen, wenn man sie nur lässt, damit nicht besser steht, wissen wir endgültig seit der Maut.

Die Maut sollte zum doppelten Vorzeigemodell werden: erstens als innovatives technologisches Spitzenprodukt, das zweitens in einer neuen Form der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat verwirklicht wird. Die Idee von der „Public Private Partnership“ für große Infrastruktur-Investitionen ist reizvoll, nicht nur wegen der leeren öffentlichen Kassen. Ein wesentlicher Grund für die fehlende Dynamik in Deutschland ist, dass vieles als Staatsaufgabe definiert wird, was ebenso gut oder besser in privatwirtschaftlicher Verantwortung liegen könnte. In diesem Sinne kann man den Vertragsparteien Staat und Toll Collect bescheinigen: gut gemeint. Aber die beteiligten Konzerne wollten die moderne Public Private Partnership aus dem Geist der alten Gewohnheiten. Und der Staat war so dumm, sich darauf einzulassen.

Wie kommt ein Vertrag zustande, der Verantwortung und Risiken völlig einseitig auf den Staat, also auf uns, die steuerzahlenden Bürger verteilt? Warum glauben die beteiligten Konzerne bis zur letzten Minute an die politische Rücksichtnahme ihrer staatlichen Partner? Warum schalteten sich die verantwortlichen Konzernchefs Jürgen Schrempp und Kai-Uwe Ricke nicht ein, als das blamable technologische Scheitern längst öffentlich diskutiert wurde? Die Antworten sind ziemlich schlicht. Der Staat konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die deutsche Wirtschaft technisch scheitert. Er hat einen Vertrag mit einem Mythos geschlossen, dem Label „Made in Germany“, nicht mit der harten Wirklichkeit. Nicht anders die beiden Konzerne: Ihre Verblendung bestand und besteht darin, dass sie sich einfach nicht verantwortlich fühlen, wenn der Vertragspartner Staat heißt.

Insofern ist der 17000-Seiten-Vertrag ein ehrliches Dokument. Man geht wie selbstverständlich davon aus, dass der Staat als Sachwalter des Allgemeinwohls der Dumme ist, auf dem Verantwortung und Risiko hängen bleiben. In Deutschland, lautet die traurige Bilanz, sind auch die „Global Players“ längst nicht so modern, wie sie sich geben, wenn es um Löhne oder Kündigungsschutz geht. Wie die Buben schmollen Schrempp und Ricke, weil Vater Staat jetzt zeigt, dass er auch böse werden kann.

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