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Politik: Mehr als hundert Staaten ächten Streumunition

Aber USA, Russland und China stehen weiter abseits / Deutschland setzt Ausnahme durch / Die meisten Opfer sind Zivilisten

Der kleine Adnan aus dem Kosovo ging mit seiner Familie zum Baden. Am See fand der Sechsjährige eine Kiste aus gelbem Metall, er brachte die Box zu seinen Angehörigen. Niemand wusste, dass es sich um Streumunition handelte, eine tödliche Hinterlassenschaft aus dem Krieg von 1999. Die Nato-Streitkräfte hatten die tückischen Waffen verschossen. Als ein Bruder Adnans die Kiste fallen ließ, explodierte sie. Der Bruder, eine Schwester und der Vater Adnans starben. Adnan selbst überlebte, verletzt und traumatisiert. „Trifft man ihn, so spürt man die ihm innewohnende tiefe Traurigkeit und schreckliche Schuld“, berichtet die Hilfsorganisation Handicap International.

Damit sich solche Schicksale nicht wiederholen, unterzeichneten 107 Staaten bis Mitte Juli das Übereinkommen über Streumunition, 37 ratifizierten das Abkommen, darunter Deutschland. Der Vertrag tritt am 1. August in Kraft. Der Pakt sieht ein weitgehendes Verbot der Waffen vor. Die Länder ächten den Einsatz, die Entwicklung, die Produktion, die Lagerung und die Weitergabe der Sprengsätze. Innerhalb von acht Jahren sollen die Streitkräfte ihre Bestände zerstören.

Bestimmte Kategorien bleiben allerdings von dem Verbot unberührt. So etwa moderne Munitionstypen, die spezifische Merkmale wie ein Gewicht von mehr als vier Kilogramm aufweisen. Und die Arsenale der USA, Russlands und Chinas mit hunderten Millionen Einheiten von Streumunition bleiben ganz verschont – die drei Länder sperren sich gegen das Abkommen. Das US-Verteidigungsministerium bezeichnet Streumunition als „legitime Waffen mit klarem militärischem Nutzen“. Immerhin verbieten die Amerikaner den Export fast aller Sprengkörper. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch drängen jetzt die Regierung von Barack Obama, dem Verbotsabkommen beizutreten. Das wäre ein „wichtiges Signal“. Ein weiterer Schwachpunkt des Abkommens: Die Vertragsstaaten dürfen mit Nichtvertragsstaaten der Anti-Streubomben-Konvention militärisch kooperieren. Verbündete der USA können somit weiter an der Seite der Amerikaner kämpfen – auch wenn die USA Streumunition verschießen.

Deutschland hat eine Ausnahme durchgebracht. Die neue Smart-Munition der Bundeswehr gilt demnach nicht als Streubombe. Tatsächlich ist die Granate ein technisches Wunderwerk. Die einzelnen Bomblets scannen am Fallschirm baumelnd das Gefechtsfeld und können, sagt der Hersteller, genau militärische Ziele erkennen und bekämpfen. Falschziele würden ignoriert. Trifft das Projektil nicht, zerstöre es sich selbst.

Trotz der Schwächen werten Regierungen und Fachleute die Vereinbarung als wichtigen Schritt nach vorne. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, betont, in Zukunft werde das Abkommen „gewaltiges Leiden unter Zivilisten verhindern“. Organisationen wie „Landmine.de“ schätzen, dass über 90 Prozent der mehr als 14 000 Verstümmelten und Getöteten keine Uniform trugen. Besonders eifrig verschossen die Amerikaner Streumunition: im Vietnamkrieg in den 60er Jahren, im Golfkrieg zu Beginn der 90er Jahre, in Afghanistan 2001/2002. Vor zwei Jahren noch bekämpften sich Russen und Georgier mit Streubomben.

In Zukunft sollen die Vertragssaaten die gefährlichen Rückstände räumen. Und Überlebende wie der kleine Adnan aus dem Kosovo können auf Hilfe hoffen: Die Länder des Pakts verpflichten sich zum medizinischen und psychologischen Beistand für die Opfer. In Rehabilitationszentren sollen sie sich auf ein Leben nach der Streumunition vorbereiten. Thomas Küchenmeister von „Landmine.de“ lobt: „Die Vertragsstaaten haben den Opferschutz sehr groß geschrieben.“ mit dpa

Jan Dirk Herbermann

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