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Politik: Menschenskind, Menschenbilder Von Christiane Peitz

Kann das Kino die Welt verändern? Aber nicht doch.

Kann das Kino die Welt verändern? Aber nicht doch. Filme lösen keine Kriege aus und beenden auch keine, sie können den Hunger nicht beseitigen, und gegen die Klimakatastrophe sind sie auch ziemlich machtlos.

Kann das Kino die Welt verändern? Aber ja doch. Arthur Penn, der große alte Hollywood-Rebell und Regisseur von „Bonnie und Clyde“, wurde auf der Berlinale mit einem Ehrenbären gewürdigt. Einst hat Kennedy von ihm gelernt, wie er beim Fernsehduell gegen Nixon die bessere Figur machen kann. Alles eine Frage der Einstellung. Wobei das Kino, diese flüchtigste und zugleich aufwühlendste unter den Künsten, sich in der Regel auf subtilere Weise einmischt: indem es den Blick auf die Welt verändert und das Augenmerk auf Dinge lenkt, die man so bisher noch nie gesehen hat.

Die Berlinale, die heute zu Ende geht, gilt als das politischste unter den großen Filmfestivals. Was dem Publikum dieses Jahr besonders viele Weltverbesserungsfilme und Geschichtslektionen bescherte. Geschichten über Soldaten, Geheimdienstler, Journalisten oder Mandelas Gefängniswärter – in der Mehrzahl ehrenwerte Storys über ehrenwerte Helden, die mit den besten Absichten ausziehen, um ein Unrecht anzuprangern. Dummerweise haben viele Regisseure vergessen, sich nicht nur über ihre politische, sondern auch über die Kameraeinstellung Gedanken zu machen. Wenn sie, wie im B-Picture „Bordertown“, ihr Sujet für reißerische Bilder ausbeuten, macht das den filmischen Protest gegen die Ausbeuter im globalisierten Kapitalismus obszön.

Festivalchef Dieter Kosslick weiß um die Verantwortung und die Moral der Bilder. Wenn er aber das Jennifer-LopezStarvehikel „Bordertown“ mit der Aufnahme in die Königsdisziplin Wettbewerb adelt, wird er seiner Verantwortung nicht gerecht. Denn die anderen Berlinale-Bilder geraten durch die Nachbarschaft eines solch spekulativen Streifens in Misskredit. Jene Filme, an die sich der Besucher Augen reibend erinnert, wenn er am Ende eines eher mauen Festivaljahrgangs aus dem Bildertunnel in die Wirklichkeit zurücktaumelt. Es stimmt ja gar nicht, dass er sich zehn Tage in einer Parallelwelt aufhielt. Der schöne Schein, das schnöde Dasein: Die Sphären berühren sich, ob es um den Holocaust ging oder die Anfänge der CIA, um den Nahostkrieg, Berlins Schulalltag, Armut in China oder die Angst des Mittelstands vor dem Abstieg. Und wenn sich die Bilder nicht im Thrill oder im Thesenkino erschöpfen, kann die Reibung zwischen Fiktion und Realität Funken schlagen.

Zum Beispiel dann, wenn auf der Leinwand zu sehen ist, was Politik anrichten kann. Stichwort Gesundheitsreform: Eine Rentnerin schuftet im Sexclub, um das Geld für die Operation des Enkels aufzutreiben – „Irina Palm“ mit Marianne Faithfull. Stichwort Außenpolitik: Soldaten sterben sinnlos auf verlorenem Posten, vor dem Rückzug der Israelis aus Libanon – in „Beaufort“. Stichwort Familienpolitik: Noch nie zeigte ein Festival so viele Filme, in denen Familien und Generationen verzweifelt versuchen, zusammenzuhalten, überall auf der Welt.

Die Berlinale 2007 war ein Festival der Menschenbilder, der Überlebenskämpfer. Wenn Faithfull und Sharon Stone, George Clooney und Matt Damon vor der Kamera zeigen, welche konkreten Spuren die oft abstrakt erscheinende Politik hinterlässt, auf einem Gesicht, in einer Biografie, einer Körperhaltung, dann werden sie zu Komplizen all derer, die nicht im Rampenlicht stehen. Dann nehmen sie nicht das Publikum in den Dienst ihres profitablen Ruhms, sondern stellen den Ruhm umgekehrt den Sehnsüchten der Zuschauer zur Verfügung. Und: Auch der aufrechte Gang kann sexy sein.

Je unübersichtlicher das globale Dorf, desto mehr konzentriert sich das Kino auf den Einzelnen. Der subjektive Faktor: Nicht it’s the economy, stupid, sondern it’s the emotion, die Empathie. Kino kann Menschen verändern, indem es sie erleben lässt, wie es sich anfühlt, in der Haut eines anderen zu stecken. Anrührend, überlebensgroß: Fernsehen hat nicht diese Wirkung. Versuchte Nähe, wenigstens kurze 90 Minuten lang – deshalb brauchen wir Filme. Und Festivals, die Bildermüll von Menschenbildern zu trennen wissen.

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