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Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch bei Erdogan im Mai 2016.

© REUTERS

Merkel besucht die Türkei: Fordern, drohen, hoffen

Am Donnerstag trifft sich Merkel in der Türkei mit Präsident Erdogan – es wird ein sehr schwieriger Besuch für die Kanzlerin. Ein Vorbericht.

Zerschossene Fenster, aufgerissene Wände – wie andere politische Besucher in Ankara seit dem Putschversuch vom Sommer wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Ankara die Spuren der Kämpfe im türkischen Parlamentsgebäude in der Hauptstadt besichtigen. Die Zeugnisse der Gewalt in der Volksvertretung, die von Kampfjets der Putschisten angegriffen wurde, werden als Mahnmal erhalten. Und Gästen wie Merkel gezeigt, um zu verdeutlichen, was das Land durchmachen musste. Türkische Politiker erläutern anhand der Zerstörungen gerne, warum sie von westlichen Ländern die Auslieferung mutmaßlicher Putsch-Komplizen verlangen. Trotz der bedrückenden Angriffsspuren dürfte Merkel diese Forderung nicht erfüllen.

Der erste Türkei-Besuch der Kanzlerin seit dem Putschversuch vom 15. Juli vergangenen Jahres ist einer der schwierigsten seit Langem. Die Positionen von Deutschland und der Türkei erscheinen in einigen Bereichen unüberbrückbar. Außerdem stehen sowohl Merkel als auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor wichtigen Wahlen in ihren Ländern, weshalb Zugeständnisse deshalb noch schwerer fallen als sonst schon.

Verärgert sind Erdogan und andere türkische Regierungspolitiker vor allem darüber, dass die deutschen Behörden die Auslieferung von mutmaßlichen Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen ablehnen. Erdogan betrachtet Gülen und dessen Leute als Terroristen und treibende Kräfte hinter dem Putschversuch. Doch in Deutschland und anderen westlichen Staaten herrschen Zweifel. Europäische Geheimdienste sind darüber hinaus überzeugt, dass Erdogan den Putschversuch für eine Hexenjagd auf Gegner jeder politischer Couleur ausnutzt.

Nicht nur Gülen-Anhänger sind Erdogan ein Dorn im Auge

„Deutschland hat eine große Verantwortung“, sagt der frühere Europa-Abgeordnete Ozan Ceyhun, der für die Erdogan-freundliche Zeitung „Daily Sabah“ schreibt. „Die Terroristen von Fethullah Gülen genießen in Deutschland ein gutes Leben, obwohl sie hinter einem Putschversuch in einem NatoLand standen.“

Ignorieren lässt sich das Thema nicht. Kurz vor Merkels Besuch wurde bekannt, dass 40 türkische Soldaten aus Nato-Einrichtungen in Deutschland Asyl beantragt haben. Ihnen drohe bei einer Rückkehr in ihr Land die Inhaftierung, argumentieren sie. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik forderte am Sonntag die Auslieferung der Antragsteller. Er werde auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz ansprechen, wie Deutschland die Mitglieder eine PutschJunta beschütze: „Das ist inakzeptabel.“

Nicht nur mutmaßliche Gülen-Anhänger sind Erdogan ein Dorn im Auge. Wiederholt hat er Berlin vorgeworfen, auch Anhänger der kurdischen Terrorgruppe PKK zu schützen. Mit der Aufnahme von säkularen Regierungsgegnern wie dem Journalisten Can Dündar zieht Deutschland noch mehr Zorn auf sich. Erdogan sagte kürzlich, er habe Merkel die Akten zu mehr als 4000 Terrorverdächtigen in Deutschland übergeben. Gehandelt habe die Bundesregierung aber nicht. Bei politischen Vorwürfen an in Deutschland lebende Türken haben die Justizbehörden die sogenannte Rechtshilfe für die Türkei inzwischen eingestellt.

Erdogan-Anhänger Ceyhun erhofft sich vom Merkel-Besuch zumindest einige Zugeständnisse Berlins. Möglicherweise könne die Kanzlerin „in der Flüchtlingsfrage etwas mitnehmen“ von ihrem Besuch, wenn sie der Türkei auf anderen Gebieten entgegenkomme. Erdogan droht immer wieder mit einer Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der EU. Hunderttausende Menschen könnten sich dann erneut in Richtung Westeuropa auf den Weg machen. Diese Verquickung der Flüchtlingsfrage mit türkischen Forderungen an die Europäer dürfte beim Merkel-Besuch erneut zum Thema werden. Allerdings wird die Kanzlerin wenige Monate vor der Bundestagswahl den Eindruck vermeiden wollen, vor Erdogan einzuknicken. Umgekehrt muss Erdogan kurz vor dem Verfassungsreferendum über die Einführung des Präsidialsystems im April vor eigenem Publikum zeigen, dass er sich nicht von den Europäern hinhalten lässt. Susanne Güsten

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