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Politik: „Merkel hat die Tür zugeschlagen“

Grünen-Fraktionsvize Kuhn: Wir schließen eine Koalition mit der Union im Bund vor der Wahl aus

Herr Kuhn, hat sich Schwarz-Grün mit den Atombeschlüssen der Bundesregierung erledigt?

Ich habe immer dafür geworben, dass die Grünen sich möglichst viele Koalitionsoptionen schaffen. Aber jetzt hat Kanzlerin Merkel die Tür für Schwarz-Grün mit Wucht zu geschlagen. Der Kampf gegen die Atomkraft macht einen wesentlichen Teil unserer politischen Identität aus. Laufzeitverlängerungen zu akzeptieren, hieße sich selbst zu verleugnen. Und das werden die Grünen für keine Machtoption der Welt tun.

Türen kann man auch wieder öffnen …

Die Union hat eine Richtungsentscheidung getroffen. Sie hat sich in vollem Bewusstsein für die Atomlobby und gegen die Grünen entschieden. Vielleicht wird es eines Tages ja Mutigere geben in der Union, die die Tür wieder aufmachen. Mit Frau Merkel ist Schwarz-Grün jedenfalls nicht mehr vorstellbar.

Das heißt, die Grünen werden mit einem klaren Nein zu Schwarz-Grün in den Bundestagswahlkampf 2013 ziehen?

Ich sehe keine Möglichkeit, dass wir uns im Bundestagswahlkampf 2013 eine Koalition mit der CDU offen halten. Es sei denn, die CDU nähme ihre Entscheidung zur Verlängerung der Laufzeiten in vollem Umfang zurück. Das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie wenn Umweltminister Röttgen in Gorleben mitdemonstriert.

Die Grünen nähern sich in den Umfragen bundesweit allmählich der Zwanzig-Prozent-Marke. Was kann Ihre Partei tun, damit aus dieser Stimmung am Ende tatsächlich Stimmen werden?

Das erste Gebot lautet Bescheidenheit. Am Scheitern von Guido Westerwelle kann man sehen, dass Bescheidenheit und Glaubwürdigkeit Geschwister sind, die ohne einander nicht leben können. Für die Grünen heißt das: Wir dürfen nicht abheben, sonderen müssen uns noch stärker als in der Vergangenheit präzise aufs Regieren vorbereiten. Wir müssen Konzepte vorlegen, die allgemein überprüfbar und nachzurechnen sind. Niemand darf sagen können, wir würden unhaltbare Versprechungen machen.

Ist es ein Zeichen von Bescheidenheit, wenn die Grünen mit Blick auf die Umfragen das Ende der Volksparteien verkünden?

Es ist vor allem ein Zeichen von Realismus. Die Zeit der althergebrachten Volksparteien läuft ab. Dafür gibt es viele Gründe. Ein zentrale Ursache für den jahrzehntelangen Erfolg von Union und SPD war die Umverteilung von großen Zuwächsen. Damit ist es nun vorbei, und beide Parteien haben keine Antwort darauf gefunden, auf welche Weise der Interessenausgleich jetzt organisiert werden soll.

Die Grünen haben es da leichter. Sie müssen weniger Spannungen aushalten, weil ihre Anhänger überwiegend gut ausgebildet sind und gut verdienen.

Das mag ja sein. Aber bei uns gibt eine riesengroße Empathie für die sozial Schwachen, die unsere Politik prägt. Insofern ist die Unterstellung der SPD, wir würden uns um die Arrivierten kümmern, sie aber um alle Schichten, Quatsch.

In Berlin steht Renate Künast vor der Spitzenkandidatur gegen Klaus Wowereit. Was würde es für die Grünen bedeuten, wenn sie in einem Stadtstaat erstmals den Regierungschef stellen würden?

Es wäre eine große Sache. Wenn wir in Berlin den Regierenden Bürgermeister stellen, ist es mit der hergebrachten Rollenverteilung vorbei, wonach die Grünen immer der kleinere Partner zu sein haben.

Die Berliner SPD will aber nicht als Juniorpartner mit den Grünen koalieren.

Ich fordere die SPD in Berlin dazu auf, diese blödsinnige Festlegung zurückzuziehen. Schon der Begriff des Juniorpartners geht an der Realität vorbei. SPD und Grüne würden ungefähr gleich stark eine neue Art von großer Koalition eingehen. Und es kann in der Demokratie ja kein Naturgesetz sein, dass die SPD den Ministerpräsidenten oder Regierenden Bürgermeister stellt. Ich halte die Festlegung für den Versuch der Erpressung der rot-grünen Wählerschaft. Wowereit sagt, ihr müsst mich wählen, wenn ihr Rot-Grün wollt. Das geht in der Demokratie nicht.

Wie lange kann Renate Künast mit der Bekanntgabe ihrer Entscheidung noch warten?

Sie hat gesagt, sie will sich im November entscheiden. Dann ist noch genügend Zeit bis zur Berlin-Wahl im Herbst 2011. Renate wäre eine starke Regierende Bürgermeisterin. Die Stadt wird heute unter ihren Möglichkeiten regiert. Das fängt bei einer fehlenden Vorstellung von der wirtschaftlichen Zukunft an und hört bei den mangelhaft ausgestatteten Schulen noch lange nicht auf.

– Das Gespräch führte Stephan Haselberger.

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