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Grundsätzliches Nein. Erdogan und Merkel am Montag in Ankara.

© dpa

Merkel in der Türkei: Rosen und Realpolitik

Bis zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei ist es ein weiter Weg. Die Kanzlerin ist zwar skeptisch gegenüber einer Vollmitgliedschaft Ankaras, will aber die Verhandlungen wieder in Gang bringen. Für Ankara ist die EU aber nicht mehr das Ein und Alles.

Gleich zweimal wurde Angela Merkel am Montag in der Türkei begrüßt: Am Morgen ließen Ballonfahrer in der zentralanatolischen Landschaft Rosen auf das Fahrzeug der Bundeskanzlerin herabregnen. Wenige Stunden später, nach einer Besichtigung mittelalterlicher Felsenkirchen und der Weiterreise nach Ankara, stand dann das türkische Wachbattaillon am Ministerpräsidentenamt in der türkischen Hauptstadt vor der deutschen Regierungschefin stramm.

Doch weder Blumen noch militärische Respektbezeugungen brachten Merkel dazu, ihrem Gastgeber Recep Tayyip Erdogan in entscheidenden Punkten entgegenzukommen. Bei aller Bereitschaft, die türkischen EU-Gespräche wieder etwas zu beschleunigen, blieb sie bei ihrem grundsätzlichen Nein zu einer Aufnahme des Landes in die Union.

Mit Erdogan sprach Merkel mehr als eine halbe Stunde länger als geplant – offenbar gab es viel zu diskutieren. Als die beiden Politiker dann vor die Presse traten, wiederholte Merkel ihre Position, wonach sie trotz ihrer grundsätzlichen Bedenken gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei neue Fortschritte im Verhandlungsprozess befürwortet. Um klarzumachen, dass der Stillstand der türkischen EU-Gespräche seit 2010 nicht nur auf die ablehnende Haltung Europas zurückzuführen ist, rief Merkel den türkischen Premier vor der Presse auf, endlich das so genannte Ankara-Protokoll zu unterzeichnen. Das sei doch eigentlich kein Problem.

Natürlich weiß Merkel, dass das für Erdogan sehr wohl ein Problem ist. Mit der Unterzeichnung des Protokolls würde die Türkei den griechischen Teil Zyperns anerkennen, der zur EU gehört. Die Türkei will dies aber erst tun, wenn die EU die Handelsbloickade gegen den türkischen Teil Zyperns aufhebt. Die Inseltürken hatten sich 2004 für einen UN-Plan zur Wiedervereinigung der Insel ausgesprochen, der aber am Nein der Griechen scheiterte. Damals versprach die EU, den türkischen Teil aus der Isolierung zu holen – doch das ist bisher nicht geschehen.

Ob sich beim Thema Zypern nach der Präsidentschaftswahl in Nikosia am Sonntag etwas tun wird, wollten weder Merkel noch Erdogan am Montag voraussagen. Vorerst sind aber wohl keine Wunderdinge zu erwarten: Der türkische EU-Prozess wartet auch nach Merkels Besuch in der Türkei auf den großen Befreiungsschlag.

Erdogan schien das Ganze sehr gelassen zu nehmen. Wegen der vielen bereits bestehenden Verträge mit der EU und der fünf Millionen Türken in Europa gehöre die Türkei ohnehin schon mehr oder weniger zur EU, sagte er. Nun seien nur noch einige rechtliche Hindernisse auszuräumen. In den vergangenen Jahren hatte Erdogan wesentlich empfindlicher auf Zurückweisungen aus Europa reagiert – dass er diesmal so ruhig blieb, lag auch daran, dass die EU für die Türkei längst nicht mehr das Ein und Alles ist.

Noch mehr als beim letzten Merkel-Besuch in Ankara vor drei Jahren versteht sich die Türkei heute als eigenständige regionale Macht, die weit über den europäischen Horizont der traditionellen türkischen Außenpolitik hinausschaut. Nur wenige Stunden, bevor er die deutsche Kanzlerin in Ankara empfing, war Erdogan von einem Besuch in den Vereinten Arabischen Emiraten zurückgekehrt. Einige Minister aus seinem Kabinett befinden sich derzeit auf einer Reise durch mehrere afrikanische Länder.

Die EU-Begeisterung der Türken ist auf einen Tiefstand von nur noch etwa 33 Prozent gesunken, ein tiefer Fall nach Größenordnungen von rund 70 Prozent vor zehn Jahren. Heute verbinden viele Türken heute mit dem Stichwort EU eher negative Entwicklungen als positive Erwartungen.

Die Finanzkrisen der vergangenen Jahre haben bei den türkischen Wählern erhebliche Zweifel darüber aufkommen lassen, ob ihr Land wirklich einer solchen Organisation beitreten solle. Derzeit machen Gerüchte die Runde, der aktuelle Pferdefleisch-Skandal könne auf dem Weg von Fleischimporten schon bald aus Europa auf die Türkei übergreifen.

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