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Politik: Merkels Depeschen

Die CDU-Chefin schreibt den Konservativen in Europa, um einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern

Berlin/Istanbul Es ist nicht das erste Mal, dass CDU-Chefin Angela Merkel auf europäischer Bühne ihren Machtanspruch manifestiert. Bereits im Juni bereitete sie der Bundesregierung eine Niederlage, als sie mit Erfolg ein konservatives Bündnis gegen den rot-grünen Favoriten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten schmiedete. Anstelle des liberalen belgischen Premiers Guy Verhofstadt drückte Merkel den Portugiesen Jose Manuel Barroso durch.

Nun sucht die Kanzlerkandidatin im Wartestand erneut die Auseinandersetzung auf dem Feld der Europapolitik: Drei Monate vor der Entscheidung der europäischen Staats- und Regierungschefs über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wirbt sie in einem Brief an alle Regierungschefs, Kommissionsmitglieder und Vorsitzenden der konservativ-bürgerlichen Volkspartei (EVP) dafür, eine Vollmitgliedschaft des Nato-Partners abzulehnen. Es sei „zu befürchten“, schreibt Merkel, dass eine Vollmitgliedschaft die Integrationskraft der EU „überfordern“ würde. Die Türkei soll sich mit einer „privilegierten Partnerschaft“ zufrieden geben.

Für Merkel dürfte sich die Anti-Beitritts-Initiative selbst dann bezahlt machen, wenn sie sich am Ende nicht durchsetzt. Denn die Aufnahme der Türkei ist nicht nur in der deutschen Bevölkerung unpopulär: Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der „Welt“ würden lediglich 34 Prozent einen Beitritt begrüßen. Und auch in der Union gibt es massiven Widerstand. CSU-Chef Edmund Stoiber macht seit langem Stimmung gegen die Mitgliedschaft der Türkei – und trifft damit den Nerv. Allenfalls 20 Prozent der Unionsabgeordneten, schätzen CDU-Außenpolitiker, wollen der Türkei eine Vollmitgliedschaft ermöglichen. Für den großen Rest kann Merkel nun Standfestigkeit unter Beweis stellen. Im Bundestag will sie ihr Konzept der „privilegierten Partnerschaft“ zur Abstimmung stellen.

Die neuesten Nachrichten aus Ankara werden die CDU-Chefin bestärkt haben: Kurz vor Ende der Parlamentsberatung legte die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstagabend das geplante neue Strafgesetzbuch auf Eis. Vorangegangen war ein Streit innerhalb der AKP über den Verzicht auf die Bestrafung von Ehebruch. Das Gesetzbuch ist eine der wichtigsten Reformen der letzten Jahre, die den Türken unter anderem mehr Meinungsfreiheit bringen sollte. Auch Folter sollte schärfer bestraft und Vergewaltigung in der Ehe als Straftat anerkannt werden.

Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei wie Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) führen in der Union einen Kampf auf verlorenem Posten. Vergeblich erinnert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses daran, dass die Regierung Kohl 1997 den Satz unterschrieben hatte: „Die Türkei hat die Perspektive der Mitgliedschaft in der EU.“ Eine Ablehnung von Beitrittsgesprächen werde die Türkei politisch destabilisieren und antieuropäische Kräfte stärken, warnte er in der „Bild“. Andere suchen einen Mittelweg. So spricht sich der Vizevorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Kossendey (CDU), dafür aus, der Türkei sowohl Gespräche über einen Beitritt als auch über „andere Formen der Kooperation“ anzubieten. „Für die Türkei muss klar sein, dass wir ihr nicht die Tür vor der Nase zuhauen. Andererseits müssen wir den Skeptikern zeigen, dass die Aufnahme von Gesprächen nicht automatisch den Beitritt zur Folge hat“, sagte er dem Tagesspiegel.

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