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Ein Schild mit der Aufschrift „#metoo“ hat die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke vor sich im Straßburger EU-Parlament aufgestellt.

© AFP

#metoo: Im Europa-Parlament also auch

Die #metoo-Bewegung erreicht die europäische Politik. Doch die Debatte bleibt im Ungefähren.

Der Fall des Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, der das Abhängigkeitsverhältnis von Mitarbeitern für sexuelle Übergriffe ausgenutzt haben soll, zieht immer weitere Kreise. Mittlerweile haben Millionen von Betroffenen über den Internetdienst Twitter unter dem Hashtag #metoo einen Übergriff öffentlich gemacht. Auch vor dem Europäischen Parlament macht die Welle der Enthüllungen nicht Halt.

Die Mitarbeiterin eines Abgeordneten im Europaparlament hat über den Kurznachrichtendienst ihrem Chef den Vorwurf gemacht, eindeutig Grenzen überschritten zu haben. Wie zu hören ist, sind Vertreter des EU- Parlaments in Kontakt mit der Frau. „Wir bieten ihr ein vertrauliches Gespräch an“, heißt es in Straßburg. Ziel sei, ein geordnetes Verfahren einzuleiten, um die notwendigen Konsequenzen aus dem Fall zu ziehen.

Über weitere Vorfälle im Europaparlament aus der Vergangenheit, in denen Abgeordnete angeblich übergriffig wurden oder Sex als Gegenleistung für einen Karrieresprung einforderten, berichteten Medien. Die „Sunday Times“ behauptet, es seien entsprechende Vorwürfe gegen zwölf Abgeordnete erhoben worden. Darunter sollen zwei Deutsche sein, außerdem ein Abgeordneter mit Führungsfunktion. Ein Online-Dienst hat betroffene Mitarbeiter von Europaabgeordneten aufgefordert, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Angeblich gab es mehr als 30 Eingaben, bei denen Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und Belästigungen angezeigt wurden. Eine Mitarbeiterin habe erklärt, dass sie 2016 von einem Mitarbeiter des Parlamentes vergewaltigt worden sei, ohne dass dies zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt habe. Betroffene schwiegen – aus Scham, Sorge vor einem Karriereknick oder sonstigen negativen Konsequenzen. Allerdings räumt der Online-Dienst ein: „Keiner der Fälle ist unabhängig untersucht und bestätigt worden.“

Gibt es eine Mauer des Schweigens im Europaparlament? Wie gravierend sind die Missstände? Geht es bei sexuellen Übergriffen im Europaparlament schlimmer zu als in anderen Teilen der Gesellschaft? Diese Fragen werden in diesen Tagen auf den Fluren in Brüssel und Straßburg heftig diskutiert.

Kein Parlament hat ein derartiges Gremium

Nach Informationen des Tagesspiegels hat sich das Präsidium des Europaparlaments in Straßburg am Montagabend intensiv mit den Vorwürfen beschäftigt. Vizepräsidentin Evelyne Gebhardt (SPD) sagte dem Tagesspiegel: „Mir ist persönlich kein einziger Fall von sexuellen Übergriffen im Parlament bekannt. Damit will ich aber nicht behaupten, dass es keinen Fall gibt.“ Eine Äußerung, die vieles offen und außerdem Raum für Vermutungen lässt.

Klar ist, dass sich das Europaparlament nicht verstecken muss, was die Prävention angeht. Seit anderthalb Jahren gibt es das „Anti-Belästigungs-Komitee“. Es ist als eine vertrauliche Anlaufstelle für Mitarbeiter gedacht, die sich von ihren Abgeordneten schlecht behandelt fühlen, sei es durch Mobbing oder sexuelle Übergriffe. Drei Abgeordnete sind Mitglied in dem Komitee, zwei Frauen und ein Mann. Dazu kommen noch ein Mitarbeiter des Personalrates sowie ein Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung.

Kein anderes Parlament auf der Welt hat ein derartiges Gremium, heißt es aus dem Präsidium. Seitdem das Komitee gegründet worden sei, habe es elf Eingaben gegeben. Dem Vernehmen nach ging es kein einziges Mal um sexuelle Übergriffe. In allen Fällen beschäftigte sich das Komitee damit, dass sich ein Assistent von seinem Chef oder der Chefin gemobbt oder sonst ungerecht behandelt gefühlt hatte. Das Komitee mache sich seine Arbeit nicht leicht. Man nehme sich die Zeit, die Betroffenen mehrere Stunden anzuhören. Die Parlamentsspitze appelliert an die Mitarbeiter: „Sie können sich auf die die strikt vertrauliche Behandlung von allen Informationen unbedingt verlassen.“ Regelmäßig informiert das Komitee die mehreren zehntausend Mitarbeiter des Parlaments und die 751 Abgeordneten über die Existenz des Gremiums und darüber, dass es durchaus Fälle gibt. Dennoch hat bislang keines der Opfer von sexuellen Übergriffen – über die berichtet wird – das Komitee des Parlamentes eingeschaltet.

Und auch das ist nicht selbstverständlich: Am Mittwoch debattierte das Europaparlament eine gute Stunde über sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte und Übergriffe auch in den eigenen Reihen. Rednerinnen stellten heraus, dass das Europaparlament damit weltweit die einzige Volksvertretung sei, die #metoo zum Thema gemacht habe. Zahlreiche Abgeordnete hatten auf dem Pult vor ihrem Platz #metoo-Schilder aufgestellt. EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström nannte die #metoo-Bewegung einen „feministischen Aufschrei“: „Jetzt reicht es. An allen Arbeitsplätzen in der ganzen Welt einschließlich der EU müssen wir fragen: Tun wir genug gegen die sexuellen Übergriffe?“

Die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke forderte die Kommission auf, einen Gesetzgebungsvorschlag zu erarbeiten, um die Missstände anzugehen. Einer der wenigen Männer, der sich an der Debatte beteiligte, war der deutsche Sozialdemokrat Udo Bullmann: „Es geht um mehr als individuelles Fehlverhalten“, sagte er. Das „Klima der Zulässigkeit von Übergriffen“ müsse bekämpft werden.

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