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Vor allem Zuwanderer aus den Krisenländern kommen nach Deutschland.

© dpa

Migration: Fachkräfte fliehen vor der Krise

Wer Sozialleistungen empfängt, kann sich immer seltener auf die Gastfreundschaft der EU-Länder verlassen. In Zeiten der Krise greifen die Staaten mitunter zu rabiaten Methoden, um sich unliebsamer Zuwanderer zu entledigen.

Eigentlich ist die Französin Julie Bürgerin der Europäischen Union. Damit genießt sie alle Privilegien, die EU-Bürgern zustehen – einschließlich der Freiheit, sich in einem anderen Land der Union niederzulassen und dort nach Arbeit zu suchen. Dumm nur, dass Julie, über deren Fall der französische Fernsehsender BFM-TV dieser Tage berichtete und die ihren vollen Namen in der Öffentlichkeit nicht nennen will, zunächst einmal keine Arbeit fand. Die junge Französin war zum Studieren nach Brüssel gekommen. Obendrein kassierte sie aber vom belgischen Staat Sozialhilfe in Höhe von 750 Euro pro Monat. Das wollten die Behörden in Brüssel nach einer Weile nicht mehr mitmachen; Julie erhielt die Aufforderung, Belgien wieder zu verlassen. Die junge Frau belaste das dortige Sozialsystem über Gebühr, hieß es zur Begründung.

Inzwischen hat Julie doch Arbeit in Belgien gefunden – und darf bleiben. Das rabiate Vorgehen der belgischen Behörden, die es statt der Ausreise-Order im Fall von Julie auch bei einer Einstellung der Sozialhilfezahlungen hätten belassen können, macht aber eines deutlich: In Zeiten der Euro-Krise achten die Staaten der Gemeinschaftswährung mehr denn je auf ihre Kassen. Ungerechtfertigte Sozialleistungen an Studenten aus dem französischen Nachbarland – in Belgien ist das inzwischen passé. Doch der belgische Staat geht noch weiter: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden mehr als 1200 Franzosen, Italiener oder Polen ausgewiesen, weil sie dem Königreich auf der Tasche lagen.

Eine Wanderungsbewegung ganz anderer Art wird hingegen in Deutschland registriert. Schon bald nach dem Beginn der Euro-Krise in Griechenland vor zweieinhalb Jahren kamen vermehrt junge Menschen aus den südlichen Ländern der Gemeinschaftswährung nach Deutschland, um hier irgendwie Fuß zu fassen. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden im vergangenen Jahr beispielsweise 16 258 Zuzüge aus Griechenland offiziell registriert – fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Und in diesem Jahr hat sich der Trend weiter fortgesetzt: Allein im vergangenen Februar wurden 2662 Zuzüge aus Griechenland amtlich vermeldet, teilte das Bundesamt für Statistik in Wiesbaden mit.

Krankenschwestern aus Portugal, Architekten aus Spanien, Ingenieure aus Griechenland – viele von ihnen finden in ihren Heimatländern trotz guter Ausbildung keinen Job mehr. Hierzulande sind sie sehr willkommen. Das liegt nicht nur daran, dass es der deutschen Wirtschaft im Gegensatz zu den meisten übrigen Ländern der Euro-Zone immer noch verhältnismäßig gut geht. Die jungen Jobsucher aus den kriselnden Ländern füllen unter anderem auch jene demografische Lücke, die nach der Wende im Osten Deutschlands entstanden ist.

Dass junge Menschen in der Europäischen Union dorthin gehen, wo es Arbeit gibt, liegt in der Logik des Binnenmarktes – und ist auch gut so. Allerdings hat die Anziehungskraft Deutschlands für gut ausgebildete Südeuropäer auch ihre Kehrseite: Wenn viele Vertreter einer ganzen Generation von Fachkräften ihre Heimatländer im Süden verlassen, wer soll dann dort die dringend benötigten Innovationen auslösen?

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