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Milch-Streit: Was wollen die Bauern?

Angesichts der Krise der Milchbauern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Spitzentreffen ins Kanzleramt geladen. Was wollen die Bauern erreichen?

Den Milchbauern reicht es. Wieder einmal. Am Montag reisten sie zu Tausenden nach Berlin, um gegen die fallenden Milchpreise zu demonstrieren. Mit 700 Traktoren, die in einer Sternfahrt zur Siegessäule fuhren, wollten sie auf ihre Situation aufmerksam machen. Auch im vergangenen Sommer protestierten sie in Berlin für einen höheren Milchpreis.

Was fordern die Milchbauern?

Die Bauern fordern Entlastungen – in unterschiedlicher Form. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, in dessen Verband viele Großbauern organisiert sind, will neben Steuerentlastung beim Agrardiesel auch ein Konjunkturprogramm für die Landwirtschaft. Denn 2009 drohten den Landwirten große Verluste. So ein „Krisenprogramm“ müsse den Absatz fördern und Kosten senken. Im April lagen die Auszahlungspreise für Milch in Bayern Sonnleitner zufolge bei 20 bis 30 Cent pro Kilogramm Milch. Damit könne auch „der Tüchtigste nicht überleben“, sagte er. Der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), in dem viele kleinere Bauern vereinigt sind, setzt auf Mengenbegrenzungen, um den Preis zu stabilisieren. Diese Forderungen versucht der BDM mit Hungerstreiks und Lieferboykotts durchzusetzen, von denen Sonnleitner nicht viel hält. Bei der Politik kommt der Protest dennoch an. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für Freitag zu einem Spitzentreffen geladen, um die Probleme zu erörtern.

Kann die Bundesregierung helfen?

Die großen Linien der Milchpolitik werden in Brüssel festgelegt, die Preise macht der Handel. Der Spielraum der Bundesregierung ist daher begrenzt, wird aber vor Wahlen gerne ausgereizt. Bauern sind vor allem für die Union wichtige Wähler, ihre Klagen führen meist zum Erfolg. Auch diesmal. Am Montag hat die Rgierung die Steuer auf Agrardiesel – trotz der schwierigen Haushaltssituation – wieder auf den Stand von 2005 zurückgesetzt und entsprach damit einem Wunsch des Bauernverbandes. Für die Landwirte bedeute dies eine Entlastung von fast 300 Millionen Euro, heißt es im Agrarministerium. Anfang Mai hatte das Ministerium bereits zugesichert, die (nationale) Exportförderung von 6,3 auf 9,5 Millionen Euro aufzustocken. Zudem hat Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) versprochen, zinslose Kredite und Bürgschaften zu prüfen.

Wie kommt der Milchpreis zustande?

Er bildet sich mehr oder weniger am Markt – und zwar nicht nur am deutschen Markt, sondern weltweit – durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Im Moment ist viel Milch auf dem Markt, darum ist der Preis im Gegensatz zum Vorjahr zurzeit wieder sehr niedrig. Damals bekamen die Bauern noch bis zu 40 Cent pro Liter Milch, heute (je nach Region) nur noch 18 bis 20 Cent. Ganz frei ist dieser Markt aber nicht, denn innerhalb der EU wird die Produktion künstlich begrenzt. Um Milchseen und Butterberge zu verhindern, hatte die EU 1984 eine Milchquote eingeführt, die aber bis 2015 schrittweise auslaufen soll. Dem hat auch die Bundesregierung zugestimmt. In dieser Frage spaltet sich die Bauernschaft. Während DBV-Chef Sonnleitner an den Unternehmer im Bauern appelliert („Sie müssen sich am Markt durchsetzen, da der Staat sich aus Marktordnungen zurückzieht“), fordert der BDM die Beibehaltung der Quote. Es dürfe nur noch so viel Milch produziert werden, wie in Europa gebraucht wird.

Wie wirken sich die schwankenden Preise auf die Bauern aus?

Ein kleiner Hof am Alpenrand, der ausschließlich Milch produziert, leidet stärker unter schwankenden Milchpreisen als ein Großbetrieb in den neuen Bundesländern, der neben Milch vielleicht auch Getreide produziert und eine Biogasanlage auf dem Hof stehen hat, die Zusatzeinnahmen sichert. Darum sind Aussagen wie die des brandenburgischen Bauernverbandes mit Vorsicht zu genießen, der behauptet, dass die Betriebe durch die niedrigen Milchpreise täglich 20 bis 30 Millionen Euro verlören. Außerdem leben auch Milchbauern nicht allein von dem Preis, den ihnen die Molkerei zahlt. Sie bekommen noch erhebliche Subventionen. Wie sich diese verteilen, behalten die Empfänger lieber für sich. Seit dem 30. April muss zwar europaweit offengelegt werden, wer EU-Agrarsubventionen bezieht; das Bundesagrarministerium blockiert die Offenlegung in Deutschland aber nach Klagen der Bauern bisher – als einziges EU-Land.


Ist Milch in Deutschland zu billig?

Für Verbraucher, die knapp kalkulieren müssen, kann Milch sicher gar nicht billig genug sein. Der Einzelhandel dagegen rechnet so, dass er Preisschwankungen – egal ob nach oben oder nach unten – an den Verbraucher weitergibt – und dabei dennoch verdient. Da gerade viel Milch auf dem Markt ist, ist der Preis niedrig. Viel zu niedrig, finden die Milchbauern. Laut BDM können sie nur bei einem Preis von 40 Cent pro Liter kostendeckend produzieren.

Agrarministerin Aigner hat die Milchwirtschaft aufgefordert, selbst stärker aktiv zu werden. Was meint sie damit?

Konkret stellt sich Aigner vor, dass die Molkereien den Milchbauern bei überschrittenen Lieferquoten nur noch stark abgesenkte Preise bezahlen. So könne „die notwendige Disziplin entstehen, um die Milchmenge zu senken“, meint die Landwirtschaftsministerin. Auch müsse sich die Milchwirtschaft anstrengen, um mit ihren Produkten im Export attraktiver zu werden und die Milchersatzprodukte wieder vom Markt zu bekommen. Zu werten sind die Äußerungen als Ausdruck politischer Hilflosigkeit. Grünen- Chefin Claudia Roth nannte sie eine „Frechheit“. Statt den Milchbauern vom „hohen Ross der agroindustriellen Interessenspolitik“ Ratschläge zu erteilen, müsse der Wert der Milch als Lebensmittel besser anerkannt werden. Es sei nicht in Ordnung, dass ein Liter Milch nur die Hälfte eines Mineralwassers oder einer Dose Cola wert sei. Bei der Milchmengenbegrenzung auf europäischer Ebene, die dem Preisverfall entgegenwirke, habe die Ministerin nur halbherzig gekämpft. Auch zeige das Beispiel Österreich, dass man die Milchproduktion national sehr wirksam begrenzen könne.


Wie reagiert die EU-Kommission?

EU-Agrarkommissarin Fischer Boel will die europäische Milchwirtschaft zwar weiterhin nach und nach für mehr Markt öffnen, stützt aber Europas Milchbauern in der gegenwärtig schwierigen Situation. Während vor dem Sitz der EU-Kommission am Montag ebenfalls hunderte europäischer Bauern gegen den Preisverfall bei Milch protestierten, versuchte der Sprecher der Agrarkommissarin die Wogen zu glätten: Um die fallenden Preise zu stützen, habe die EU-Behörde seit Jahresbeginn Butter und Milchpulver weit über die ursprünglich gesetzten Grenzen hinaus aufgekauft, sagte er. Zudem zahle die EU-Kommission seit Februar wieder Exporterstattungen für Käse, Butter und andere Milchprodukte. So soll der europäische Milchmarkt entlastet werden, der derzeit unter einem Überangebot leidet.

Die EU-Behörde lehnt es aber ab, den Forderungen der europäischen Milchbauern nachzugeben, die gegen die schrittweise Abschaffung der Milchquoten protestieren und eine Rückkehr zur alten Subventionspolitik fordern. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Milchquote um ein Prozent im Frühjahr und dem Preisverfall sieht man in Brüssel nicht. Entgegen aller Vorhersagen sei die Milchproduktion nämlich nicht angestiegen, sondern sogar gefallen. Sie sei derzeit fünf Prozent geringer, als die Quotenregelung in der EU erlaube.

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