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Politik: Militärische Vergeltung: "Pure Vergeltung ist schlichtweg unzulässig" - Warum die USA sich in der Grauzone des Völkerrechts bewegen

Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung, das ist völkerrechtlich verbindlich. Nur gibt es einen Haken: Das Völkerrecht ist nicht immer auf der brutalen Höhe der Zeit.

Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung, das ist völkerrechtlich verbindlich. Nur gibt es einen Haken: Das Völkerrecht ist nicht immer auf der brutalen Höhe der Zeit. Das Völkerrecht kennt die Selbstverteidigung nur bei zwischenstaatlichen Konflikten. Nun fehlt den USA der Feind, der staatliche. Es gibt bisher nur einen Gegner, den die USA für die Terrorakte anklagen: Osama bin Laden. Ihn will sie treffen, womöglich auf dem Territorium eines Staates, der nicht etwas zu tun haben muss mit seinen Machenschaften.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotostrecke I: Der Anschlag auf das WTC und das Pentagon Fotostrecke II: Reaktionen auf die Attentate Fotostrecke III: Rettungsarbeiten in New York Fotostrecke IV: Trauerkundgebung am Brandenburger Tor Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Der UN-Sicherheitsrat hat in den letzten Tagen einen möglichen Gegenschlag der USA legitimiert, in dem er in einer Resolution auf das Selbstverteidigungsrecht verwiesen hat und damit indirekt dieses Recht auch auf nichtstaatliche Gegner übertragen hat. Der Münchner Völkerrechtler Andreas Paulus hat damit keine großen Bauchschmerzen. "Die UN-Charta stammt eben aus einer anderen Zeit, wir müssen es aktualisieren, auf die neuen Gegebenheiten anwenden."

Viel Raum für Interpretationen

Paulus warnt indes davor, Selbstverteidigung mit Vergeltung oder Rache zu verwechseln. "Pure Vergeltung ist schlichtweg unzulässig." Wenn es Angriffe der USA geben sollte, die Osama bin Laden zum Ziel haben, dann "muss es sich um eine Verteidigungsmaßnahme handeln. Es darf eben keine Bestrafungsaktion sein, bei dem ein Staat getroffen wird, der nichts mit bin Laden zu tun hat."

Völkerrechtlich ist es so, dass Staaten verpflichtet sind, Terroristen auszuliefern, die sich auf ihrem Territorium aufhalten. Das Völkerrecht aber erlaubt keine Gewalt gegen Staaten, die sich weigern, auszuliefern. Gewalt ist nur dann mit dem Völkerrecht vereinbar, wenn ein angegriffener Staat nachweisen könnte, dass das Land X mit Terroristen gemeinsame Sache macht. Der Interpretationsspielraum scheint hier groß zu sein.

Sicherheitsexperten treibt derweil noch ein anderes Problem um: Mit welchen Mitteln werden die USA ihren Gegenschlag ausführen, welche Waffen werden sie einsetzen? Werden sie womöglich nicht davor zurückschrecken, auch Nuklearwaffen einzusetzen? Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (Bits) und einer des besten Kenner von Militärfragen, sagt: "Zurzeit ist ein Einsatz von Nuklearwaffen ziemlich unwahrscheinlich." Nassauer glaubt eher daran, dass die Administration von George W. Bush wie bereits in der Amtszeit von Bush senior bestrebt sein wird, Koalitionen zu bilden und dabei auch die islamische Welt mit einbeziehen will. "Mit Atomwaffen geht das nicht", sagt Nassauer.

Der Feind war immer staatlich

Allerdings würde auch kein Experte verneinen, dass die USA diese Waffenoption haben. Und es hat durchaus Tradition in den USA, mit dieser Option zu spielen. Für die Vereinigten Staaten war zwar stets klar, dass Nuklearwaffen kein Mittel wie jedes andere sind, ihr Einsatz wurde aber unter bestimmten Bedingungen für möglich erachtet: Wenn der Feind selbst über Massenvernichtungswaffen verfügt. Allerdings war dieser angenommene Feind bis Anfang, Mitte der neunziger Jahre ein staatlicher.

Schon im Golf-Krieg gegen Saddam Hussein drohten die USA mit atomaren Bomben, aber eher aus taktischem Kalkül, man wollte diese Waffen damals wohl nie einsetzen. Und bei dieser Strategie wird es vermutlich auch erst einmal bleiben: Drohen ja, einsetzen nein. Man kann diese nicht so leicht verständliche Strategie auf den Begriff "absichtliche Doppeldeutigkeit" bringen. Er besagt: Wir lassen uns die Möglichkeit offen, ob wir nukleare Waffen einsetzen, unabhängig davon, ob wir das überhaupt wollen. Es gibt also keine grundsätzliche Ablehnung gegen den Einsatz von Nuklearwaffen. Diese Option halten sich die USA auch längst nicht mehr nur im Kampf gegen einen staatlichen Feind, sondern auch gegen Terroristen wie bin Laden offen.

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