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Dunkle Wolken ziehen über das Kreuz auf einer evangelischen Kirche in der Region Hannover hinweg.

© dpa/Julian Stratenschulte

Mindestens 1259 Täter und 2225 Opfer: Missbrauch in der evangelischen Kirche in größerem Ausmaß als bisher angenommen

Ein unabhängiges Forscherteam hat eine Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche veröffentlicht. Die veröffentlichen Zahlen seien aber nur „die Spitze des Eisbergs“.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat es in der evangelischen Kirche in größerem Ausmaß gegeben als bislang angenommen. Ein von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragtes unabhängiges Forscherteam stellte am Donnerstag in Hannover seine Studie vor, in der von mindestens 2225 Betroffenen und 1259 mutmaßlichen Tätern die Rede ist.

Das sei jedoch nur die „Spitze der Spitze des Eisbergs“. Es gebe Kenntnisse über weitere Fälle, die aufgrund fehlender Informationen nicht hätten strukturiert erfasst werden können, heißt es in der Mitteilung des Forscherteams. Untersucht wurden den Angaben zufolge flächendeckend nur Disziplinarakten.

Bislang war nur bekannt, wie viele Betroffene sich in den vergangenen Jahren an die zuständigen Stellen der Landeskirchen gewandt haben. Nach Angaben der EKD waren das 858.

Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht.

Die EKD-Vorsitzende Kirsten Fehrs

Die Studie zeigt den Angaben zufolge, dass es evangelische Besonderheiten gibt, die sexualisierte Gewalt ermöglichen und begünstigen können. Dazu zählten eine „Diffusion von Verantwortung“, der übermäßige Wunsch nach Harmonie, eine fehlende Konfliktkultur sowie „die Selbsterzählung der Fortschrittlichkeit“.

Das blockiere auch Aufarbeitungsversuche. Dabei zeige die Studie „deutlich“, dass sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche nicht reduzierbar auf bestimmte lokale oder zeitliche Umstände sei wie beispielsweise die frühere Heimerziehung oder den liberalen Sexualitätsdiskurs der 1970er Jahre.

Die ermittelten Fallzahlen von 2225 Betroffenen basieren auf Akten der Landeskirchen und der Diakonie, außerdem flossen in den Landeskirchen und diakonischen Werken bekannte Fälle mit ein. Die Wissenschaftler kommen auf Grundlage ihrer Methode auf eine geschätzte Gesamtzahl von 3497 Beschuldigten. Die präsentierten Zahlen würden das Ausmaß „deutlich unterschätzen“, sagte Wazlawik.

Die EKD hatte die Studie 2020 initiiert. Die Fallzahlen sind nicht direkt vergleichbar mit den Ergebnissen einer Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, die 2018 veröffentlicht wurde. Nach der Auswertung von fast 40.000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2014 wurden 1670 katholische Priester und Diakone beschuldigt, denen 3677 Kinder und Jugendliche als Betroffene zugeordnet werden konnten. Damals betonten die Wissenschaftler, dass die Zahl „eine untere Schätzgröße“ sei.

Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, bat bei der Vorstellung der Studie Betroffene um Entschuldigung. „Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht“, sagte die Hamburger Bischöfin am Donnerstag in Hannover. Sie könne nur „von ganzem Herzen“ um Entschuldigung bitten.

Fehrs sagte, das Gesamtbild, das die Studie zeige, habe sie „zutiefst erschüttert“. „Immer wieder neu, seit ich mich mit dem Thema befasse, erschüttert mich aufrichtig diese abgründige Gewalt, die so vielen Menschen in unserer Kirche angetan wurde“, sagte die Bischöfin. Die Ergebnisse der Studie werde die Kirche mit Demut annehmen. (epd/dpa)

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