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Politik: Minister auf Ost-Expedition: Edelgard Bulmahn steht da, hört zu, fragt nach

Sie küsst die Bierkönigin nicht. Sie schüttelt ihr einfach die Hand.

Sie küsst die Bierkönigin nicht. Sie schüttelt ihr einfach die Hand. Und interessiert sich für die Brauerei, den Bierabsatz und die Ausbildung der angehenden Brauer. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung, braucht diese großen Gesten nicht, mit denen ihre Vorgänger das Amt zu beleben versuchten oder mit denen ihre männlichen Kollegen Politik machen. Bulmahn steht einfach da, hört zu, fragt nach und weist beharrlich auf die Errungenschaften der rot-grünen Regierung hin. Darauf etwa, dass sie sich im Bündnis für Arbeit geeinigt haben, die Kopfprämie für Auszubildende in Ostdeutschland abzubauen. Dass also nicht einfach jeder Betrieb, der einen Lehrling eingestellt hat, 5000 Mark vom Staat dafür bekommt, sondern das Geld zukünftig den Auszubildenden zu Gute kommt.

"Irgendwie anders", findet ein 17-jähriger angehender Verbundmechaniker die Bildungsministerin. In seinem Ausbildungsbetrieb, der Altmärker Kunststoff Technik (AKT) in Gardelegen, erkundigt sich Bulmahn über die Ausbildungsplatzsituation in Sachsen-Anhalt. Das Kunststoffwerk ist vorbildlich, immerhin bildet das Unternehmen mit 600 Mitarbeitern 29 junge Männer und Frauen aus. Aber AKT kann es auch leisten, denn der Betrieb fertigt Kunststoffteile für die Autoindustrie. Wer als Jugendlicher aus der Altmark nicht bei AKT unterkommt, hat wenig Chancen einen Ausbildungsplatz in der Gegend zu finden. Große Investoren haben sich bislang nicht in der Altmark niedergelassen. Vielleicht weil sie gar nicht wissen, wo sie liegt, vielleicht weil es in Orten wie Gardelegen zu idyllisch ist. Jedenfalls sind über 16 Prozent der Bewohner des kleinen Ortes arbeitslos. 18,3 Prozent Arbeitslose sind es in der ganzen Altmark, die immerhin so groß ist wie das Saarland. Jeder neunte Jugendliche in der Altmark ist arbeitslos.

"Ich appelliere an Sie", mahnt Bulmahn die Unternehmer, in der Altmark auszubilden. Denn die Zeiten, in denen sich die Betriebe ihre Arbeitskräfte von der Straße holten, sind vorbei. "Jeder Betrieb, der ausbildet, tut das Beste für seinen Betrieb", wird Bulmahn nicht müde zu wiederholen. In ein paar Jahren schon, prophezeit sie, werden die Betriebe keinen Nachwuchs mehr haben. Denn schon heute verlässt jeder, der kann und einen Job oder eine Lehrstelle woanders findet, die Altmark.

Vier Tage ist Bulmahn durch Ostdeutschland gereist und hat sich einen Überblick über die Ausbildung geschaffen. In Gera hat sie mit Hotelfachfrauen gesprochen, in Dresden mit einem Automobilkaufmann, in Gardelegen mit dem Verbundmechaniker und drei zukünftigen Brauern, mit Schweißern, Schlossern, Industriekauffrauen und Köchinnen in Wittenberge und Schwerin. Bulmahn will, dass alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen. Vor allem sollen sie in den Unternehmen lernen und nicht wie in Ostdeutschland bislang üblich, in den Ausbildungszentren.

Diese außerbetriebliche Ausbildung ist in Ostdeutschland ein eigener Erwerbszweig. So wie das Berufsbildungszentrum (BBZ) der Prignitzer Wirtschaft in Wittenberge. 250 Mitarbeiter arbeiten bei dem BBZ, das vorausschauende Planwirtschafter der alten VEBs in Wittenberge im Sommer 1990 gründeten. 3500 Jugendliche bilden sie in ihren Werkstätten und Büros aus und holen sie somit zumindest für einige Monate von der Straße.

Damit ist das Berufsbildungszentrum nicht nur der größte Arbeitgeber in der Gegend, sondern auch der größte Arbeitsplatzbeschaffer. Denn was in Orten wie Gardelegen beschaulich ist, wird in Wittenberge depressiv. Innerhalb von zehn Jahren haben 10 000 Menschen die Stadt verlassen. Heute leben noch 22 500 Menschen in Wittenberge. 5000 von ihnen haben einen Arbeitsplatz.

Die Auszubildenden in der BBZ-Fabrik hatten keine Chance, einen Ausbildungsplatz zu finden. Dabei bringen sie Geld mit, denn das Arbeitsamt oder eine soziale Einrichtung zahlt für ihre Ausbildung. Nur ungern gibt Heinz Thiede, BBZ-Vorstandschef, daher zu, dass zwei Drittel der Jugendlichen mit Steuergeldern für ihre Ausbildung bei ihm bezahlen. "Aber das wird sukzessive weniger", sagt Thiede, der damals auch die lukrative Idee zum BBZ hatte. Das kommt den Zielen von Bulmahn entgegen. Und in diesem Jahr werden zum ersten Mal mehr Jugendliche in den Unternehmen ausgebildet, als in den Ausbildungszentren.

Ulrike Fokken

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