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Politik: Mit Anlauf zu sich selbst

Von Peter Siebenmorgen Die Meinungsumfragen sprechen seit vielen Wochen eindeutige Worte: Klar liegt die Union vor der SPD, die Sozialdemokratie profitiert kaum von Schröders Kanzlerbonus. Nur ein Wunder, glauben manche Demoskopen, könne die Union noch stoppen, der Rückstand der Sozialdemokratie sei in den verbleibenden vier Monaten bis zur Bundestagswahl eigentlich nicht mehr aufzuholen.

Von Peter Siebenmorgen

Die Meinungsumfragen sprechen seit vielen Wochen eindeutige Worte: Klar liegt die Union vor der SPD, die Sozialdemokratie profitiert kaum von Schröders Kanzlerbonus. Nur ein Wunder, glauben manche Demoskopen, könne die Union noch stoppen, der Rückstand der Sozialdemokratie sei in den verbleibenden vier Monaten bis zur Bundestagswahl eigentlich nicht mehr aufzuholen. Bis weit in die eigenen Reihen, bis hoch in die Führung der Kanzlerpartei hatte sich diese vermeintliche Erkenntnis bereits festgefressen: Stoiber kann stottern, so viel er will, der Union schadet das nicht. Selbst mit einem inhaltlich dürren Wahlprogramm, das jeder seriösen Haushaltspolitik spottet, kommen „die anderen“ durch. Und dann auch noch der nicht enden wollende Spendenskandal in Köln, das Desaster in Sachsen-Anhalt.

Lange sah es so aus, als sei die einzige Antwort der SPD auf diese Herausforderungen ein schlichter Kanzlerwahlkampf: Er oder ich. Doch das ist zu wenig, um eine sozialdemokratische Partei und ihre Anhängerschaft für den Kampf zu mobilisieren – und erst recht nicht genug, um das Land zu führen. So glaubte zuletzt fast niemand mehr so richtig an den eigenen Sieg. Für ein schlichtes „Weiter so“ mag keiner streiten. Die Moral der Truppe hatte den Tiefstpunkt erreicht.

Seit Montag hat sich die Lage möglicherweise verändert. Der Wind dreht sich. Mit einem kraftvollen Auftritt vor den sozialdemokratischen Kandidaten für den nächsten Bundestag hat sich Schröder eindrucksvoll zurückgemeldet: mit markanten inhaltlichen Botschaften, die über den bloßen Machterhalt hinausweisen. Darauf hat die Partei lange warten müssen. Schröder will die Modernisierung des europäischen Sozialmodells verteidigen, Neoliberalismus und Rechtspopulismus in Zeiten des Wandels abwehren, den Menschen Ängste nehmen. Selbst notorische Schröder-Kritiker fangen jetzt Feuer. Dass der SPD-Chef dabei die FDP um einiges polemischer attackierte als die Union, wird wohl allerdings weniger ein Hinweis auf seine persönliche Koalitionspräferenz für die Zeit nach dem 22. September gewesen sein. Denn geradezu dankbar ist er, dass Westerwelle ihm endgültig aus dem Mantel des Spaßpolitikers geholfen hat.

Zeitgleich lässt der Rückenwind für die Union allmählich nach. Die Präsentation von Lothar Späth als Stoibers Wirtschafts-Wunderdoktor ist zwar recht gut gelungen. Aber die Idee des Kompetenzteams, mit dem sich der Kandidat umgeben will, kann mehr spalten als versöhnen. Stoiber verspricht vielen zu viel, Späth und Merz, Glos und Rühe, Schäuble und Merkel. Im Falle eines Sieges würde es auch große Verlierer bei der Union geben. Und weil die betroffenen Personen allesamt nicht mit Dummheit oder Machtblindheit geschlagen sind, dürfte das derzeitige Gerangel um den zukünftigen Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erst ein kleiner Vorgeschmack auf die internen Machtkämpfe der kommenden Wochen sein. Sie werden dann der Öffentlichkeit auch nicht verborgen bleiben.

Völlig im Unwägbaren liegt, welchen Effekt Karlheinz Schreibers kanadische Erzählungen haben werden. Der Waffenlobbyist hat in den vergangenen Jahren keinerlei Anlaß gegeben, ihn als Freund der zweckfreien und reinen Wahrheit schätzen zu müssen. Allerdings liegen in der Vergangenheit, die Stoiber so gern vergessen wissen möchte, tatsächlich doch noch einige hässliche Sprüche und unschöne Vorkommnisse, die das Bild des Kandidaten vom „ernsten Mann für ernste Zeiten“ empfindlich trüben könnten. Ganz und gar unplausibel ist es jedenfalls nicht, was Schreiber jetzt zum Besten gibt. Für Verunsicherungen der Wähler, auch der eigenen Anhänger, kann es reichen. Wie dann ein gereizter Kanzlerkandidat Stoiber handeln wird, bleibt abzuwarten. Ob sich die Personalstreitigkeiten in der Union besänftigen lassen, ebenfalls.

Auf der anderen Seite bringt Schröder erstmal neues Selbstbewusstsein in die eigenen Reihen. Seine Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte und programmatische Präzisierung ist zugleich ein neuer Anlauf zum Eigentlichen und Eigenen der Sozialdemokratie. Noch ist es nicht mehr. Aber eines zeigt das mit Sicherheit: Entschieden ist noch nichts.

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