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Politik: Mit der Wut der Basis

Das hat Edmund Stoiber noch nie gehört: Buhs von der CSU – dann wählt sie Horst Seehofer zu ihrem Chef

Edmund Stoiber studiert die Aufschrift auf dem Plastiktütchen, als handele es sich um wichtige Staatsakten. Es ist aber bloß die Zutatenliste für die roten Gummibären, die der CSU-Ehrenvorsitzende gerade zwischen seinen Zähnen zermalmt. Davor hat er eine SMS ins Handy getippt. Danach wird er in seinem Terminkalender blättern, vor, zurück, wieder vor. Edmund Stoiber ist bei diesem CSU-Parteitag angestrengt mit sich selbst beschäftigt. Dafür ist der Parteitag, insbesondere so weit seine Mitglieder nicht aus Oberbayern stammen, mit Edmund Stoiber vorerst fertig. Als die Noch-Generalsekretärin Christine Haderthauer gleich eingangs den Altvorderen begrüßt, hat es keinen Applaus gesetzt, sondern Pfiffe und sogar Buh-Rufe. Man kriegt also gleich in den ersten Minuten ein klares Bild davon, wie blank die Nerven immer noch liegen in der frisch entthronten Staatspartei.

Die leckt, die Staatspartei, denn auch erst einmal ihre Wunden. Die Pfiffe für den Strippenzieher Stoiber gehören dazu, der demonstrative Beifall für sein Opfer Günther Beckstein ebenfalls. Die Franken stehen sogar minutenlang auf, um ihrem gezwungenermaßen scheidenden Ministerpräsidenten die Reverenz zu erweisen. Als beim geistlichen Wort der Pfarrer über den Sündenbock predigt und über solche, die sich ihrer eigenen Verantwortung nicht stellen wollen, kriegt selbst der Geistliche Zwischenbeifall. Die CSU hat eine bittere Wahlniederlage erlitten, aber mehr noch leidet sie an dem, was sie sich danach selbst zugefügt hat. Es ist da nicht nur einer der üblichen Machtkämpfe ausgetragen worden. Zwischen Oberbayern und Niederbayern und Franken und Schwaben sind dort, wo früher folkloristische Grenzen verliefen, regelrechte Schützengräben aufgebrochen. „Wir sind in diese Wahl gegangen, und wir wollten einen Doktor Günther Beckstein haben“, wird später ein zorniger fränkischer Bürgermeister rufen. „Von einem Herrn Seehofer war niemals die Rede!“

Darin steckt eine hilflose Wut, die bei vielen der gut 900 Delegierten zu spüren ist. Vielleicht ist es deshalb recht still, als Erwin Huber seine letzte Rede als Parteivorsitzender hält, die in der Tagesordnung „Rechenschaftsbericht“ heißt und genau das wird. Huber schont keinen, auch nicht sich selbst: „Ich habe die Erwartungen nicht erfüllt“, sagt er. Aber auch Stoibers Truppen kriegen ihr Fett weg, verpackt in den Dank an den Mitkämpfer Beckstein: „Du warst ein Vorbild an Einsatz“, sagt Huber, „und es wäre gut gewesen, wenn jeder diesem Vorbild gefolgt wäre.“ Dass die Oberbayern den Wahlkampf ziemlich lustlos betrieben und folgerichtig zu den Verlusten am meisten beigetragen haben, gilt unter den anderen nämlich als ausgemacht.

Stoiber ist jetzt beim Sportteil der Zeitung angekommen, Huber bei der Schwesterpartei: Dass ein CDU-Vize – nämlich Roland Koch – mitten im Wahlkampf die Pendlerpauschale „madig gemacht“ habe, dafür fehle ihm nun aber auch jedes Verständnis.

Das alles kommt so ruhig und konzentriert daher, dass man sich fragt, wieso der kleine Niederbayer so eine souveräne Rede nicht ein einziges Mal vorher gehalten hat. Die Antwort ist aber ganz einfach. Er hat es hinter sich. „Ich musste ja nicht gedrängt und geprügelt werden“ zum Rückzug, sagt er von sich selbst.

Nach ihm spricht Beckstein, auch er in Moll. „Ich wollte Bayern dienen mit Mut und Demut“, sagt er. Das tut er bis zuletzt – Beckstein ist der erste, der dazu aufruft, keinen Krieg zwischen den Stämmen zuzulassen. Aber einen Haken gibt er dem Nachfolger doch noch mit: „Die Aufgabe heißt 50 plus x“, sagt Beckstein, blickt runter in die Vorstandsbank und fügt hinzu: „Es gibt ja sogar Leute, die die Messlatte auf 52 Prozent legen wollten!“

Die Leute, das war Horst Seehofer zwei Wochen vor der Landtagswahl, der alte Seehofer gewissermaßen, der Rebell mit der Neigung zur frechen Randbemerkung. Diesmal steht er aber nicht am Hallenrand, sondern mittendrin. Seehofer hat ein paar sehr unangenehme Tage hinter sich. Die erste Machtprobe im Amt ist schief gegangen. Erst haben ihn die hohen Herren vom Landesbank-Vorstand in den Koalitionsverhandlungen fast zur Weißglut getrieben, als sie lässig anmerkten, ihre Verluste könnten so um die zwei, drei, vier Milliarden Euro liegen. Dann hat er indirekt, aber deutlich ihre Köpfe gefordert. Die Köpfe sind aber noch dran. „Wir kommen auf das Thema zurück“, knurrt Seehofer im Saal, noch bevor der Parteitag angefangen hat. „Ich bin Schachspieler. Das Schönste ist, wenn der Gegenüber erst nach 20 Minuten merkt, was der erste Zug bedeutet hat.“ Das klingt entschlossen, ändert aber an der Blamage erst mal nichts.

Seehofer weiß denn auch ganz gut, weshalb er sich für den Parteitag „Unfallfreiheit“ wünscht. Mehr kann er nicht erwarten, dafür ist die Stimmung zu gedrückt einerseits und zu aufgeheizt andererseits. In zwei Tagen, ab Montag, wird er die ganze Macht in der CSU in Händen halten. „Du bist unser neuer Messias“, hat ihm der Bundestagsabgeordnete Hans Peter Uhl gesagt. Man kann es auch unhöflicher ausdrücken: Seehofer ist im Moment die letzte Karte, auf die die CSU setzen kann.

Der weiß das. Aber er weiß auch, dass er nicht gleich über die Wasser wandeln kann, sondern seiner Partei erst den Glauben an sich selbst zurückgeben muss. „Missionieren“ werde er, sagt Seehofer, eine „ganz intensive“ Wahlanalyse kündigt er an. Und dann die CSU zu alter Stärke führen, zurück zu den 50 plus x: „Es kann für uns überhaupt kein anderes politisches Ziel geben!“ Wer solle denn die CSU daran hindern? „Wir sind ein Kraftpaket als CSU.“ Seehofer reckt dabei beide Hände zur Decke wie ein Gewichtheber, bevor er sich zur Hantel beugt.

Als das Wahlergebnis ausgezählt ist – 90 Prozent –, lächelt er zufrieden. Ob er die Wahl annehme? „Ich denke schon.“ Stoiber lächelt jetzt. Dann wird der Landesgruppenchef Peter Ramsauer zum Stellvertreter gewählt. Er kriegt nur etwa 67 Prozent. Ramsauer kommt auch aus Oberbayern. Einer muss halt die Prügel einstecken.

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