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Blockiert. Der Bus mit den Flüchtlingen in Clausnitz trug die zynisch wirkende Linienanzeige „Reisegenuss“.

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Mob blockiert Bus mit Flüchtlingen: Die Schande von Clausnitz

Es sind wieder Bilder, die um die Welt gehen. Die Schande von Clausnitz ist vor allem der Mob. Es ist eine Zäsur. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

„Wir sind das Volk“ – Was ist nur aus diesem Ruf der Freiheit geworden? Benutzt, beschmutzt, befleckt – Clausnitz. Zu Hunderttausenden haben die Menschen, vor allem die Sachsen, 1989 diesen Slogan gerufen, um ein unterdrückerisches Regime, aus dem bereits tausende geflohen waren, zum Einsturz zu bringen. Mit Erfolg. Und jetzt? Jetzt skandieren ihn regelmäßig Pegida-Anhänger, um ihre Ablehnung gegenüber allem Fremden zum Ausdruck zu bringen. Schlimm genug. Zu allem Überfluss hat ihn nun auch ein dümmlicher Mob ebenfalls in Sachsen benutzt, um sich jenen, die diesen Freiheitsdrang nun auch haben, in den Weg zu stellen, sie sogar damit zu bedrohen. Sie haben den Ruf in sein Gegenteil verkehrt. Was muss jemand denken, der dem Krieg entkommen ist und in der deutschen Realität gelandet ist? Möglicherweise hat sich sogar die Polizei von der aufgeheizten Stimmung anstacheln lassen. Videos zeigen, wie einzelne Polizisten hart zugreifen. Viel weiß man darüber noch nicht, aber es muss aufgeklärt werden. Die Schande von Clausnitz ist aber vor allem der Mob.

Und Clausnitz ist auch eine Zäsur. Es sind wieder Bilder, die um die Welt gehen. Nur sind sie beschämend. Das Gefährliche ist ja nicht die letztlich kleine krakeelende Meute – wobei die Menschen in dem Bus das sicher anders gesehen haben. Es sind die stillen Unterstützer. Die, die überlegen, vielleicht doch der AfD ihre Stimme zu geben oder doch mal bei den verschiedenen Gidaisten vorbei zu schauen. Die Geister, die man damit ruft, haben sich in Clausnitz gezeigt.

Aber hat Clausnitz den Ruf der Freiheit auch zu Grabe getragen? Noch nicht. Denn „Wir sind das Volk“ war auch ein Auftrag, ein schwieriger. Die Politik ist Teil des Volkes, sie ist ihre Vertretung und insofern spielt die Frage, ob Merkel am Ende mit ihrem Spagat aus Willkommenskultur und Restriktion Erfolg haben wird, eine wichtige Rolle. Und ja, es ist auch richtig, dass die CSU ihrer Rolle gerecht wird und versucht, einen Teil der Wankenden am rechten Rand anzusprechen. Was aber passiert, wenn man mit seinen Drohungs- und Untergangsszenarien den Bogen überspannt, konnte man ebenfalls in Clausnitz sehen. Doch die Politik ist nur das eine. Es wird am Ende ganz wesentlich auf das Volk im wahrsten Sinne ankommen – auf jeden Einzelnen. In Gesprächen, Diskussionen, beim Bier am Abend. Das ist anstrengend aber notwendig. Zuhören und argumentieren.

Viele beklagen derzeit zu Recht die Verrohung der Sprache und Hasskommentare, sich aber deshalb abzuwenden,  alles zu ignorieren und nur zu stigmatisieren wäre der falsche Weg. „Wir sind das Volk“ war auch ein demokratischer Auftrag, mit den Mitteln zu kämpfen, die einem in der Demokratie zur Hand gegeben werden: freie, offene und ehrliche Debatte sowie rechtstaatliche Mittel. Debatte: Ängste, Nöte und Sorgen müssen offen angesprochen und diskutiert werden können – seien sie manchmal auch noch so weit hergeholt. Aber es stimmt. Millionen von Flüchtlingen stellen ein Land wie Deutschland vor Herausforderungen: logistische, kulturelle, religiöse, soziale. Das muss man benennen, erklären und lösen. Zu einem Mob wie in Clausnitz darf das aber nicht führen. Das führt zur Rechtsstaatlichkeit: Volksverhetzung, Bedrohung und Missbrauch von Grundrechten müssen juristisch verfolgt werden. 

Ja Clausnitz ist eine Schande – und ein deutlicher Warnruf. 

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