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Politik: Mögen Sie Gewerkschaften, Herr Rüttgers?

Der CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen über die Ausbildung junger Leute, die Regierungsfähigkeit der Union – und die Werte der Amerikaner

Herr Rüttgers, wie weit ist die Union in der Vorbereitung auf ihre Regierungsfähigkeit?

CDU und CSU sind die einzigen Parteien, die angefangen haben, über ein abgestimmtes und in sich schlüssiges Reformpaket zu diskutieren. Wir wollen nicht den Fehler machen wie Bundeskanzler Schröder, der völlig unvorbereitet in die Regierung gegangen ist. Wir haben in der CDU ein modernes Steuersystem beschlossen, eine Rentenreform und eine Gesundheitsreform. Aber es gibt eben noch Diskussionen mit der CSU. Ich dringe aber darauf, dass CDU und CSU über Grundzüge des Regierungsprogramms bis Ende des Jahres Klarheit geschaffen haben.

Warum das Datum?

Weil wir im kommenden Jahr die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben, die eine vorgezogene Bundestagswahl ist. Ich möchte als Spitzenkandidat in diese Landtagswahl mit klaren Vorstellungen in den zentralen Reformbereichen in Deutschland gehen.

Eine offene Frage in den Unionsparteien ist ja die Gesundheitsreform. Was wird denn dabei herauskommen?

Es sind zwei Dinge wichtig. Wenn wieder mehr Arbeitsplätze in Deutschland entstehen sollen, dann müssen wir einen Teil der Sozialkosten vom Faktor Arbeit abkoppeln. Das ist ja der Grundgedanke bei dem Vorhaben, auf ein System mit Gesundheitsprämien umzusteuern. Das kann aber nur gelingen, wenn es einen Sozialausgleich gibt. Die zentrale Frage ist, wie man das finanziert.

Und wie finanziert man es?

Ich habe noch keine abschließende Antwort. Aber ich glaube, wenn wir an der richtigen Idee festhalten, mit dem Steuerreformmodell von Friedrich Merz wieder mehr Wachstum in Deutschland zu schaffen, dann wird man einen solchen Sozialausgleich nicht alleine aus Steuern bezahlen können.

Wie viel an dieser Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU ist denn Sachpolitik und wie viel ist Katzbalgerei?

Das meiste, das weitaus meiste ist Sachpolitik. CDU und CSU sind sich völlig klar darüber, dass man gemeinsam stemmen muss und nur gemeinsam stemmen kann, was für dieses Land zu tun ist. Und deshalb gilt für mich immer noch der Satz: So viel Union wie jetzt war nie.

Aber in der Rentenpolitik herrscht gar nicht so viel Union, wenn man die Nachrichten der letzten Woche las. Die einen wollen die Rentenbesteuerungspläne der Regierung mittragen, andere dagegen den Vermittlungsausschuss anrufen.

Ich werbe für einen neuen Rentenkonsens. Es muss Schluss sein mit der Enteignung der Rentner, wie wir sie derzeit erleben. Es kann nicht angehen, dass eine Maßnahme nach der anderen zu Lasten der Rentner beschlossen wird. Das Wichtigste ist klarzumachen, dass es auch in Zukunft eine solidarische Rente geben wird. Die solidarische Rente bleibt erhalten, wird in Zukunft aber nicht mehr volle Absicherung für das Alter sein.

Also eine Art Bürgergeld oder Grundrente, wie Sie die Grünen oder Kurt Biedenkopf seit langem fordern?

Nach meinen Vorstellungen brauchen wir eine kapitalgedeckte Zusatzrente . . .

. . . die es in Gestalt der Riester-Rente doch schon gibt . . .

. . . aber viel zu knapp und bürokratisch konzipiert ist. Private Vorsorge für das Alter, ob in Form einer Lebensversicherung oder von Wohneigentum, muss viel stärker und verpflichtend werden. Dabei muss klar sein, dass diese Art von Kapitalbildung ausschließlich für den Lebensabend gedacht ist.

Wenn Sie sagen, das Rentensystem muss solidarisch bleiben, warum ist dann für Sie bei den Einschnitten für die jetzigen Rentner das Ende der Fahnenstange erreicht? Gibt es nicht auch eine Solidarität mit denen, die jetzt viel zahlen, später aber wenig bekommen?

Ich rede nicht vom Ende der Fahnenstange. Mir geht es um die aktuelle Rentenpolitik von Rot-Grün: Da wird überall herumgefummelt, und dann kommen teilweise überfallartig Entscheidungen, die oft in völligem Widerspruch zu dem stehen, was in diesem Land seit Jahren zum Thema Altersvorsorge geredet wird. Wie kann man denn die Betriebsrentner bestrafen, die ihr Leben lang einbezahlt haben und dann plötzlich 7,5 Prozent weniger haben wegen der Krankenkasse? Und wie kann man, wie jetzt Wirtschaftsminister Clement, über die Abschaffung des Sparerfreibetrags reden, wenn man andererseits den Leuten ständig empfiehlt, sie müssten mehr sparen fürs Alter, mehr Eigenvorsorge betreiben? So entsteht ein gigantischer Vertrauensverlust. Es ist auch klar, dass wir alle länger arbeiten müssen. Das muss man auch ehrlich sagen. Kein Volk hat seine Probleme dadurch gelöst, dass es weniger gearbeitet hat. Man muss auch sagen, dass es um Mehrarbeit für das gleiche Geld geht. Ich bin mir sicher, dass die Leute dazu bereit sind, wenn man ihnen klarmacht, wofür das geschieht. Das ist das Entscheidende.

Bei den Gewerkschaften kommen Sie damit aber nicht weit.

Da bin ich nicht so sicher. Bei uns in NRW zum Beispiel hat die IG Metall in einem Ergänzungstarifvertrag für den Servicebereich gerade erst die Arbeitszeit erhöht. Das muss man anerkennen.

Sie sehen also die Rolle der Gewerkschaften nicht so kritisch wie einige Ihrer Parteifreunde?

Die Wahrheit ist, dass schon heute in den Tarifverträgen viel von der Flexibilität geregelt ist, die wir in der Tat in Deutschland brauchen. Ich weiß aber auch, dass das noch nicht reicht, dass man hier systematischer herangehen muss. Ich halte den Vorschlag, kleine „Bündnisse für Arbeit“ auf Unternehmensebene zu bilden und so den Betriebsräten mehr Macht zu geben, für richtig. Aber die Auflösung der Flächentarifverträge hielte ich für falsch. Das führt nur zu Häuserkampf von Betrieb zu Betrieb.

Die Ausbildungsabgabe, die Rot-Grün nun erheben will, wird von den Gewerkschaften mehrheitlich unterstützt. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?

Die Abgabe ist eine dieser ideologischen Dinosaurier aus dem letzten Jahrhundert. Dadurch wird keine einzige neue Lehrstelle geschaffen. Wir werden erleben, dass manche Betriebe ihre Ausbildungsanstrengungen sogar zurückfahren werden. Denn wenn eine Ausbildungsquote festgelegt wird, dann werden alle Betriebe, die mehr ausbilden, in Zukunft weniger Lehrstellen anbieten und abwarten, bis sie öffentliche Subventionen bekommen. Das kann nur in die Katastrophe führen. Zudem wird hier ein Milliardenumverteilungssystem geschaffen, mit tausenden neuen Beamten, das ist ein völliger Irrweg.

Ihr politischer Gegner in NRW, Ministerpräsident Steinbrück, sieht das ganz ähnlich.

Ich bin jetzt gespannt, ob er im Bundesrat gegen das Gesetz stimmt. Sollte er das nicht tun, hat er sich unsterblich blamiert.

Die Abgabe kommt allerdings nicht ganz aus heiterem Himmel. Ist denn das duale System der Berufsausbildung, auf das man in Deutschland so stolz ist, noch in der Lage, allen jungen Leuten eine adäquate Ausbildung zu garantieren? Krankt dieses System nicht?

Es gibt konjunkturelle Gründe für den Lehrstellenmangel, aber auch einen strukturellen Grund. Ich habe schon als Bundesbildungsminister angefangen, die Berusfbilder zu reformieren. Es sind auch über 50 neue geschaffen worden. Aber das Problem ist, dass Berufsausbildung mittlerweile häufig sehr komplex geworden ist, ein Problem vor allem für die nur praktisch Begabten. Also bei denen, die von ihren schulischen Leistungen und von ihrer persönlichen Situation her keine Lehrstelle finden. Diese jungen Leute müssen aus den Warteschleifen geholt werden, in die man sie gerne schickt. In NRW haben wir zurzeit 37 000 junge Leute in solchen Warteschleifen.

Was wäre zu tun für diese Gruppe?

Ich glaube, wir brauchen eine dritte Säule im Berufsbildungssystem, um für diese Gruppe eine berufsbezogene Perspektive zu bekommen. Das wird nicht die klassische Lehre sein, das muss kürzer sein, weil diese jungen Leute auch oft schulmüde sind. Es muss eine sehr praxisorientierte Ausbildung sein, die am Ende aber in einen Beruf führen soll. Und nicht wie bei den Warteschleifen wieder in die Schlange derjenigen, die um die klassischen Lehrstellen konkurrieren.

Bei der Europawahl dürfte auch der Irak ein Thema sein. Fürchten Sie das Thema im Wahlkampf?

Ich bin mir sicher, dass die SPD mit dieser unanständigen Wahlkampfstrategie scheitern wird. Es ist auch angesichts dessen, was im Irak und im Nahen Osten passiert, eine billige Wahlkampfnummer. Die Menschen werden das erkennen. Das heißt aber nicht, dass das Thema nicht wichtig ist und nicht behandelt werden muss. Ich bin persönlich sehr erschüttert von den Folterbildern, die in allen Zeitungen zu sehen sind. Für mich ist das nicht nur eine Frage der Menschenwürde. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den Anspruch, mit dem die Völker des freien Westens in dieser Welt auftreten. Was passiert ist, muss bestraft werden. Folter ist niemals zu rechtfertigen, auch nicht aus einem Kriegsverlauf heraus. Es geht aus meiner Sicht auch nicht nur um das Geschehen in Bagdader Gefängnissen, sondern auch um das Internierungslager in Guantanamo. Amerika verrät seine Werte, wenn es jetzt nicht ganz offen und deutlich gegen die Folterer vorgeht.

Sie haben von den Völkern des freien Westens geredet. Müssten die nicht gerade jetzt praktische Solidarität mit den USA zeigen?

Ich glaube, dass Deutschland sich nicht mit Soldaten im Irak engagieren sollte. Praktische Solidarität heißt auch, unter Freunden in solchen Situationen darüber zu reden, was notwendig ist.

Aber die Amerikaner wollen doch gar nicht reden.

Es gibt aber Situationen, da muss man sagen, was richtig ist – ob es nun gelegen kommt oder ungelegen.

Warum gilt das, mit Blick auf Ihre Partei, jetzt, und warum galt es nicht schon vor dem Irakkrieg?

Ich glaube, wir im freien Westen müssen alle ein Interesse daran haben, dass es eine Perspektive für einen demokratischen Irak gibt. Übrigens zeigt auch die Situation auf dem Balkan, wo wir mit deutschen Soldaten engagiert sind, dass man nicht immer zu einfachen Antworten kommt, wenn es um solche demokratischen Perspektiven geht. Wir brauchen eine politische Lösung im Irak, und da sollten wir den Amerikanern helfen. Aber das Thema Irak sollten wir nicht auf den Europawahlkampf aufpflanzen. Da wollen die Leute wissen, worum es den Parteien für Europa geht.

Wenn Sie dereinst mal Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen sein sollten, dann hat Ihre Partei ja möglicherweise auch die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Wie wird sie denn damit umgehen?

Sie muss dann beweisen, dass sie in Berlin die Probleme lösen kann, an denen Schröder gescheitert ist. Klar ist, nach einem Sieg der CDU in NRW kann es für die derzeitige Regierungspolitik keine Verlängerung geben. Entweder schnell oder weniger schnell. Die Alternative dazu wäre: Entweder das Gewürge geht weiter, oder alle reden von einer großen Koalition. Ich will keine große Koalition. Aus der Situation kommt man nur über klare und eindeutige Entscheidungen heraus. Ich habe davor keine Angst. Und man muss sich darauf vorbereiten.

Dann wäre es also staatspolitisch geboten, die Bundesregierung möglichst schnell nach der NRW-Wahl, so die CDU dort siegt, zu kippen?

Dafür muss eine Opposition von morgens bis abends bereit sein.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Albert Funk und Peter Siebenmorgen. Die Fotos machte Mike Wolff.

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