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Kommt mir auf die Tüte! Der französische Wahlkampf ist längst in der Textilbranche angekommen.

© imago/PanoramiC

Mon BERLIN: Busen mit Botschaft oder Wahlkampf à la Mode

Zeigt her eure Parolen! Auf Tüten und T-Shirts wird mit flotten Sprüchen Stimmung gemacht - ob im französischen Wahlkampf oder in eigener Sache. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Kaum zeichnet sich am Horizont eine Wahl ab, da kommt die mit Botschaften gezierte Kleidung aus den Schränken der politischen Parteien. „En marche!“ – „Vorwärts!“, fordert uns das Lieblings-T-Shirt der Groupies von Emmanuel Macron auf. Der Slogan passt zum energiegeladenen Auftreten des Golden Boy der französischen Politik, der schnurstracks auf den Elyseepalast zusteuert. „Debout les enfants de France!“ – „Steht auf, ihr Kinder Frankreichs!“, befiehlt Marine Le Pen dem Wahlvolk wie einst Jesus dem Gelähmten. Nur dass das T-Shirt des Front National in Marokko hergestellt wird. Das ist schon allerhand für die Partei des „Made in France“, die die Auslagerung der Produktion verteufelt und dem Nationalen den Vorzug gibt. „J'aime la France avec Jean-Luc“ – „Ich liebe Frankreich mit Jean-Luc“, erklärt das von Jean-Luc Mélenchon. Die inoffziellen T-Shirts verpassen dem Chef von „La France insoumise“ – „Frankreich unterwirft sich nicht“ ein rebellischeres Image: Mélenchon mit Barett à la Che Guevara. Will man einem Politiker als Sandwichmann oder -frau dienen, so darf man das Risiko nicht scheuen. Wer würde es heute noch wagen, sein „Fillon Président“-Shirt zu tragen, in schickem, dezentem Marineblau für die Herren, in feinem, zartem Blassrosa für die Damen.

Das hat mich sofort an Petit Bateau erinnert, die bekannte Marke für Kinderkleidung, der Sexismus vorgeworfen wurde, weil sie die Wäsche mit stark vereinfachenden Adjektiven bedruckte. Für die Mädchen: „hübsch, eigensinnig, lustig, sanft, naschhaft, niedlich, verliebt, elegant, schön“. Für die Jungen: „mutig, stark, tapfer, abgehärtet, schlau, geschickt, entschlossen, cool“. Bei Petit Bateau ist die Welt noch binär. Aufgeteilt zwischen Hellrosa und Himmelblau. Dazwischen gibt es nichts. Für die Transgender oder die nicht festgelegten, fließenden Sexualitäten hat Petit Bateau nichts vorgesehen. Bei Fillon, das muss fairerweise gesagt werden, gibt es auch Rot, Grau und ein zu den aktuellen Umfragewerten sehr gut passendes existenzialistisches Schwarz.

Viele Menschen haben nichts dagegen, als Werbetafel herumzulaufen

Als ich neulich in einem Berliner Café saß, hefteten meine Blicke sich wie hypnotisiert auf den Oberkörper einer jungen Frau am Tisch gegenüber. Nein, ihre Oberweite war nicht aufsehenerregend. Eine x-beliebige junge Frau, die an einem regnerischen Nachmittag eine Pause macht. Was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war die in silbern glitzernden Arabesken auf ihr T-Shirt geschriebene Auskunft: „I am myself / I’m not perfect but I’m authentic / True and simple“. Der Spruch sprang mir geradezu in die Augen.

Hauptsache, jeder sieht, wo es her ist.
Hauptsache, jeder sieht, wo es her ist.

© REUTERS/Gonzalo Fuentes

Bekanntlich finden viele nichts dabei, sich in eine wandelnde Reklame umzugestalten: Die großen Lettern eines Markenlogos bedecken die ganze Rückseite ihres T-Shirts. Chanel steht in goldenen Buchstaben auf den Bügeln ihrer Sonnenbrillen, auf ihren Koffern und Taschen und bezeugt so die Kaufkraft der Kundschaft. Der erreichte oder erhoffte soziale Status wird auf vielfältige Weise angezeigt: amerikanische Universität, Berliner Gymnasium, Sportclub, exklusives Kulturevent. . .Das Ziel dieses Anspruchs auf Identität ist leicht zu durchschauen: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse, einer Gruppe, einer Gemeinschaft, einem Verein soll markiert werden. Man möchte zeigen, dass man nicht wie die anderen ist und sich ganz deutlich von der gleichförmigen Masse der gewöhnlichen Leute abhebt. Das ist leicht zu verstehen.

Auf dem Pulli steht "Arbeitslos", er ist aus Kaschmir

Früher genügten eine simple Krawatte oder eine Jeans, um den eigenen Platz in der Welt implizit festzulegen. Heute sind die Kleidungscodes nicht mehr so streng, die semantische Botschaft muss direkter sein. Eine französische Modefirma bietet im Internet einen Pulli mit der Aufschrift an: „Arbeitslos“. Chic und Grenzüberschreitung verdanken sich vor allem der Tatsache, dass der Pulli aus reinem Kaschmir besteht. Andererseits: „I am myself / I’m not perfect but I’m authentic / True and simple". Warum klebt sich jemand eine solche Selbstdarstellung auf die Brust? Warum wird dieses moralisierende Glaubensbekenntnis allen vor die Nase gehalten? Das hätte ich die Trägerin gern gefragt. Aber dann bin ich doch vor einem Gespräch zurückgeschreckt. Dabei bin ich sicher, dass es sich nicht um eine augenzwinkernde Selbstironie handelte, sondern dass es ihr völlig ernst damit war.

Und als ich Montagabend die erste Debatte der Präsidentschaftskandidaten im französischen Fernsehen verfolgte, fragte ich mich, wer von ihnen das gleiche T-Shirt wie die junge Frau im Café tragen könnte, ohne lächerlich zu wirken. Ich sagte mir, dass es an der Zeit wäre, ihnen ein paar davon schicken zu lassen.

- Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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