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Politik: Money, money, money

War es früher einfacher, als die Menschen noch mit Muscheln zahlten? Nein. Der Umgang mit Geld war immer schon irrational. Er ist es immer noch.

Er sei gern bereit zum Gespräch, hat der Herr der Banknoten mitgeteilt. Aber als es dann soweit ist, schweigt er sich aus. Nicht dass er unfreundlich wäre, im Gegenteil, der Mann, der in der Bundesdruckerei in der Berliner Oranienstraße empfängt, lächelt viel, und über sich selbst gibt er auch gerne Auskunft: 1992 wurde er in der Bundesdruckerei zum Offsetdrucker ausgebildet, seit vergangenem Jahr ist er Leiter der gesamten Geldproduktion und damit Chef über 135 Mitarbeiter und 1,2 Milliarden Banknoten – so viele soll die Druckerei dieses Jahr ausliefern. Welchen Wert sie genau haben, das sagt der Mann nicht, und auch sonst verrät er nicht viel. Auf die Frage, wie sein Arbeitstag aussehe, erwidert er, dass er um 6 Uhr 45 beginne und 12 oder 13 Stunden später ende. Was dazwischen passiert, das sagt er nicht. Auch sein Name soll nicht in der Zeitung stehen. Man müsse verstehen, sagt er, seine Arbeit unterliege strenger Geheimhaltung.

Doch nicht nur über die Herstellung von Banknoten ist wenig bekannt. Auch über die Geschichte des Geldes weiß kaum einer genau Bescheid. Dabei lohnt sich gerade in Krisenzeiten ein Blick zurück: Geld hatte seinen Ursprung nicht allein in Zweckdenken und Ökonomie, sondern auch in Kult und Religion. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dem Umgang mit Geld etwas Irrationales anhaftet. Bis heute hat es immer höhere Abstraktionsgrade erreicht: Aus Opfergaben wurden Münzen, aus Münzen wurden Banknoten, aus Banknoten wurde Buchgeld. Jede dieser Neuerfindungen war mit neuen Schwierigkeiten und starken Emotionen verbunden; Überschwang und Depression wechselten sich stets ab. Die gesamte Geschichte des Geldes ist von Missverständnissen und Krisen geprägt, und die heutige wird sicher nicht die letzte sein.

Das erste Mal wird Geld in 4500 Jahre alten Keilschrifttexten aus Mesopotamien erwähnt. In ihnen ist von Zahlungen in abgewogenem Silber die Rede. Seitdem hat es eine Vielzahl an Zahlungsmitteln gegeben. In China rechnete man in Muscheln, auf der Pazifik-Insel Santa Cruz in roten Federn und auf der Insel Yap in Steinen. Doch um mehr über den Ursprung des Geldes in unserem Kulturkreis zu erfahren, muss man sich mit dem Rind beschäftigen. „Erst dem Sieger ein groß dreifüßig Geschirr auf dem Feuer, welches an Wert zwölf Rindern bei sich die Danaer schätzten; doch dem Besiegeten stellt' er ein blühendes Weib in den Kampfkreis, geschätzt vier Rinder an Werte“, schrieb Homer in der Ilias. Überhaupt taucht das Rind in antiken Zeugnissen immer wieder als Wert auf. Ökonomen folgerten daraus, dass man in der Antike seine Einkäufe mit Rindern gezahlt habe. Überzeugender ist die Sichtweise des Altertumswissenschaftlers Bernhard Laum: In seinem Buch „Heiliges Geld“ beschrieb er, wie sich die Werteinheit Rind nicht aus dem Handel, sondern aus der Religion heraus entwickelte.

Die Griechen pflegten ein sehr pragmatisches Verhältnis zu ihren Göttern. Wollten sie etwas von ihnen, brachten sie schnell ein Opfer dar, am besten ein Rind, denn dieses Tier galt als heilig. Die ersten Gold-, Silber- und Kupfermünzen, die nach 600 vor Christus im antiken Griechenland gefunden wurden, können als Symbolisierungen dieser Opfergaben gesehen werden – und damit als ein erster Abstraktionsschritt in Richtung des heutigen Geldes: Auf Münzen von der Insel Euböa etwa ist ein Stierkopf zu sehen, der eine Binde trägt, wie das bei Opfertieren üblich war. Laum ging davon aus, dass die Tempel, in denen sich durch Opfergaben alle möglichen Wertgegenstände sammelten, als frühe Handelsplätze fungierten. „Das Heiligtum wird mit Naturnotwendigkeit eine Keimzelle des Tauschhandels“, schrieb er. Die Römer waren etwas später dran als die Griechen. Sie führten den Silberdenar und den Aureus aus Gold erst 217 vor Christus ein. Dafür sollte die Währung lange überleben: im achten Jahrhundert führte Karl der Große den Silberdenar in seinem gesamten Reich ein.

Für den sakralen Ursprung des Geldes haben Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen Hinweise gefunden. Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun hat auf die architektonischen Ähnlichkeiten zwischen Tempeln und Banken hingewiesen, der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch auf die etymologische Verwandtschaft von Begriffen wie „Erlösung“ und „Erlös“ und der Schriftforscher Alfred Kallir darauf, dass Dollar, Pfund und der Yen – und inzwischen auch der Euro – alle zwei Striche in ihrem Zeichen haben, die an Stierhörner erinnern. Die Ökonomen scheinen von dieser Verbindung nichts wissen zu wollen. Sie halten daran fest, dass Geld lediglich Tausch-, Zahlungsmittel und Verrechnungseinheit ist und der Mensch ein homo oeconomicus – also einer, der mit Geld umzugehen weiß, weil sein Hirn Informationen wie eine Rechenmaschine verarbeitet und so eine Grundlage für fundierte Entscheidungen hat.

Daniel Kahnemann hält das für Wunschdenken. Gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky hat der israelische Psychologe und Nobelpreisträger in den 1970ern damit begonnen, die Entscheidungsfindung von Menschen zu untersuchen. Dabei stellte er folgendes fest: Um unsichere Ereignisse in der Zukunft abschätzen zu können, wenden Menschen bestimmte Faustregeln an. Nur leider haben sie einen Schönheitsfehler: Meist sind sie falsch. So wird die Wahrscheinlichkeit von seltenen Ereignissen typischerweise überschätzt, wenn man nur oft genug davon hört, und Verlusten werden größere Bedeutung beigemessen als Gewinnen. Aus diesem Grund steigen Börsenspekulanten bei Verlusten gewöhnlich viel später aus als bei Gewinnen – sie wollen den Verlust nicht wahrhaben. In seinem neuesten Buch schreibt Kahnemann daher, dass die Arbeit von Fondsmanagern eher einem Würfel- als einem Pokerspiel gleiche; sie unterliege der „Illusion finanziellen Könnens“.

Dieser Illusion sind die Menschen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erlegen. So auch die Spanier im sechzehnten Jahrhundert. Zu dieser Zeit hatte sich das Geldwesen bereits beträchtlich entwickelt: Banken hatten die Kredite erfunden und damit den Handel vorangebracht, Staaten hatten die Anleihe erfunden und finanzierten so ihre Kriege. Außer Gold und Silber kursierten auch Kupfermünzen, die man jedoch jederzeit gegen Gold und Silber eintauschen konnte. Es durfte also nur so viel Geld im Umlauf sein, wie es Gold- und Silber-Rücklagen gab. Dementsprechend glücklich wähnten sich die Spanier, als sie in der Neuen Welt auf enorme Gold- und Silbervorkommen stießen. Zeitweise brachten Schiffskonvois jährlich 170 Tonnen Silber über den Atlantik nach Sevilla. Doch die Freude währte nur kurz. Schon bald stiegen die Lebenshaltungskosten stark an, und es breitete sich eine europaweite Inflation aus. „Der Überfluss an Gold und Silber hat alle Güter innerhalb von hundert Jahren um das Zehnfache verteuert“, schrieb damals der französische Staatstheoretiker Jean Bodin. Damit hatten die Menschen eine ebenso wichtige wie schwer verständliche Lektion über das Geld erteilt bekommen: Um seinen Wert zu behalten, muss es knapp sein.

Dass der Überfluss Unglück bringt, erfuhren auch die Holländer ein knappes Jahrhundert später. Nach der Entdeckung des Seewegs nach Indien hatten sich die Händler des Landes zusammengetan, um die beschwerliche Reise gemeinsam zu bewältigen. Zu diesem Zweck gründeten sie die Vereinigte Ostindienkompanie. Jeder Holländer konnte Anteile an ihr erwerben, und binnen kurzer Zeit kamen 6,45 Millionen Gulden zusammen – die erste Aktiengesellschaft der Welt war begründet. Durch den Handel kamen die Holländer zu großem Reichtum, sie bauten sich Villen und legten prächtige Gärten an, und vor allem eine Blume sollte sie zieren: die Tulpe. Schon bald stieg der Preis für die damals noch seltene Blume. Die Menschen, die nicht vom Handel mit Tee und Gewürzen profitiert hatten, hofften nun mit Tulpen reich zu werden, etliche beliehen ihr Hab und Gut, um unter die Floristen zu gehen, bald schon verkaufte man keine Tulpenzwiebeln mehr, sondern nur noch das Anrecht, welche zu kaufen. Bei diesen Geschäften handelte es sich um Vorläufer der komplexen Finanzderivate. In Holland kam es binnen kurzer Zeit zum Zusammenbruch: Im Februar 1637 platzte die Tulpenblase, und alle Spekulanten, die gehofft hatten, reich zu werden, waren stattdessen ruiniert.

Die wichtigste Neuerung stand dem Geld da noch bevor, sie sollte sich erst ein knappes Vierteljahrhundert später ereignen. 1661 wurde in Schweden das Silber knapp, und die Skandinavier griffen zu Kupfer. Aufgrund des geringeren Wertes dieses Metalls brauchte man ganze Platten, um den Wert einer Silbermünze zu erzielen. Doch so schwer wollten die Kaufleute nicht tragen, und so schlossen sie die unhandlichen Platten in der Stockholm Banco ein und bekamen dafür einen Abholschein. Die ersten Banknoten waren erfunden.

Wenn man die Geschichte des Geldes als Abfolge von Abstraktionen liest, war die Erfindung der Banknote vermutlich die folgenreichste. Aber davon sollte man zunächst nichts merken. Jahrhunderte lang waren Banknoten nur ein Stück Papier mit einem aufgedruckten Zahlungsversprechen, wahren Wert hatten nur Edelmetalle. So legte Isaac Newton, Physiker und Finanzchef des britischen Königreichs, 1717 fest, dass die Summe von drei Pfund Sterling, 17 Schilling und 10,5 Pence stets in eine Unze Gold konvertierbar sein müsse – der Goldstandard war eingeführt, und er sollte fast zwei Jahrhunderte gelten. Im Jahr 1881 wurde er sogar auf internationaler Ebene verbindlich festgelegt. In der Folge musste ein hoher Anteil der Banknoten, die in einem Land ausgegeben wurden, von Gold gedeckt sein, meist um die 40 Prozent. Mit Eintritt in den Ersten Weltkrieg wurde diese Übereinkunft aufgegeben, die Staaten brauchten mehr Geld als sie Gold hatten, um den Krieg zu finanzieren, gleiches galt für den Zweiten Weltkrieg. 1944 wurde im Bretton-Woods-Abkommen die US-amerikanische Währung an das Edelmetall gekoppelt – 35 US-Dollars mussten durch eine Unze Gold gedeckt sein. Alle anderen Währungen waren an den Dollar gebunden. 1971 gab der USA-Präsident Robert Nixon auch diese Bindung auf, der Grund war wieder ein Krieg: Die USA hatten zur Finanzierung ihres Einsatzes in Vietnam zu viele Dollars in Umlauf gebracht.

Inzwischen wird der Goldstandard vielerorts vermisst. Kritiker des Finanzkapitalismus schimpfen über das sogenannte Fiatgeld, das seinen Wert lediglich einer staatlichen Verfügung verdankt, aber nicht durch Gold gedeckt wird. Sogar der Weltbank-Chef Robert Zoellick hat kürzlich die Rückkehr zum Goldstandard gefordert. Das hat gute Gründe, schließlich hat erst sein Fall das Geldmengenwachstum der vergangenen Jahrzehnte und die damit einhergehende Schuldenkrise ermöglicht. Doch verdanken wir dem Geldmengenwachstum nicht nur Spekulationsblasen. Mit dem Goldstandard wäre auch die Expansion des europäischen Wohlfahrtsstaats kaum denkbar gewesen: Als die hohen Wachstumsraten der Nachkriegszeit schwanden, begannen die westlichen Staaten – frei nach den Lehren des Ökonomen John Maynard Keynes – die Konjunktur anzukurbeln, indem sie die Löhne anhoben und in Kultur, Bildung und Sozialsysteme investierten.

Weil es ein kostspieliges Unterfangen ist, Keynesianer zu sein, machten die westlichen Staaten Schulden, bis sie es angesichts des steigenden Haushaltdefizits mit der Angst zu tun bekamen. Es passierte, was in dem Bemühen, einen sinnvollen Umgang mit Geld zu finden, so oft geschieht: Man schwenkte einfach um, von einem Extrem ins andere. Mit einem Mal führten die sogenannten Monetaristen das Wort. Sie verteufelten, was die Keynesianer vertraten; vordringliches Ziel war es nun, die Staatsausgaben niedrig zu halten. Das Problem: Auf Wachstum wollte man trotzdem nicht verzichten, und so deregulierten die USA und Großbritannien die Finanzmärkte. Margaret Thatchers Reformpaket bekam den Spitznamen „Big Bang“. In der Praxis bedeutete dies: Nicht mehr der Staat, sondern der Bürger machte nun die Schulden. Bereitwillig stellte man ihm Kredite zur Verfügung, damit er sich kaufen konnte, was er sich eigentlich nicht leisten konnte; das damit verbundene Risiko verschleierte und streute man mit Hilfe von komplexen Finanzprodukten.

Die Folgen sind bekannt, doch sind wir noch lange nicht am Ende der Krise angelangt. Wolfgang Streeck, Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, sieht sie als Ausdruck eines grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Kapitalismus und Demokratie: Auf der einen Seite steht der freie Markt und das Recht des Stärkeren, auf der anderen die Bedürfnisse der Schwächeren. In ihrem Bestreben, wiedergewählt zu werden, versuchten die Politiker, es beiden Seiten recht zu machen: Statt Forderungen zu stellen oder Zuwendungen einzuschränken, haben sie sich verschuldet und die Finanzmärkte dereguliert. Bis die Krise kam.

Dass viele ihr Ausmaß nicht begreifen, lässt sich wieder mit Tverskys und Kahnemanns erklären. Wie die Psychologen festgestellt haben, wird die Häufigkeit von seltenen Ereignissen konsequent überschätzt, wenn wir nur oft genug von ihnen hören. So glauben viele Menschen, dass die Jahre des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, die immer wieder heraufbeschworen und glorifiziert werden, der Normalzustand seien und die Krise nur ein Ausrutscher darstellt. Es verhält sich genau andersherum. Die goldenen Jahre waren die Ausnahme – die Geschichte des Geldes ist nicht von Stabilität, sondern von wiederkehrenden Schocks geprägt.

Das zu begreifen, ist heute noch schwerer als in vorangegangenen Jahrhunderten. Schließlich haben wir haben es nicht mehr mit Münzen, die in der Spardose klimpern zu tun, sondern mit Kreditkarten, Ratenzahlungen und Daueraufträgen. Dieser Abstraktionsgrad überfordert uns endgültig. Allen Veränderungen zum Trotz ist eine Eigenschaft des Zahlungsmittels jedoch geblieben: Noch immer beruht das Geld, das im Kult entstand, im Wesentlichen auf Glauben. Die Scheine in unserem Portemonnaie sind nur deshalb etwas wert, weil wir daran glauben, dass sie etwas wert sind. Verlören wir diese Überzeugung, dann wären auch die 1,2 Milliarden Euro-Scheine, die von der Bundesdruckerei dieses Jahr ausgeliefert werden, nur noch eine Menge buntes Papier.

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