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Politik: Moral kontra Eigennutz

Die Abstimmung ist für den heutigen Mittwoch angesetzt. Sie wird knapp.

Die Abstimmung ist für den heutigen Mittwoch angesetzt. Sie wird knapp. Und sie wird spannend. Denn es geht - vor dem Hintergrund des Enron-Skandals - um eine Säule des amerikanischen Parteienwesens, die Spendenpraxis. Die Moral sagt Ja zu einer Reform. Sie schreit sogar nach einer Änderung. Der Status quo öffnet der Bestechung Tür und Tor. "Skandalös und korrupt" sei das gesamte System, wettern die Kritiker. Etwa 150 Millionen Dollar trieben beide Parteien 2001 von Firmen, Mäzenen und Gewerkschaften ein. Die Republikaner brachten es auf 87, die Demokraten auf 63 Millionen Dollar. Das ist, für ein Nicht-Wahljahr, stolzer Rekord.

Der Eigennutz der Parlamentarier sagt deshalb Nein. Die Spenden sind die lukrativste Einnahmequelle der Parteien. Diese Quelle zum Versiegen zu bringen, entferne nicht das Geld aus der Politik, sondern die Parteien aus der Politik, befürchten die Gegner der Reform. Zusätzlich wähnen sie sich vom Obersten Gericht unterstützt. Das nämlich hatte 1976 in einem Grundsatzurteil festgelegt, dass Parteispenden nicht zu sehr reglementiert werden dürfen.

Für die USA ist die Reform der Parteispendenpraxis, was in Deutschland der Streit um die Ladenschlusszeiten war: ein Dauerbrenner. Seit Jahren versuchen tapfere US-Parlamentarier, das System zu ändern - allen voran John McCain, der Ex-Herausforderer von George W. Bush. Bislang erfolglos. In diesem Jahr jedoch ist alles anders. Enron, einst siebtgrößter Konzern Amerikas, hat Konkurs angemeldet. Es war die größe Pleite in der US-Geschichte. Gut 20 000 Arbeitsplätze gingen verloren, fast ebenso viele Betriebsrenten und die Investitionen Tausender Kleinanleger. Es blieben 30 Milliarden Dollar Schulden, gleichzeitig bereicherten sich die Bosse rechtzeitig mit Millionensummen.

Viele Profiteure

Inzwischen untersuchen die Affäre nicht weniger als elf Parlamentarische Untersuchungskommissionen. Denn die Beziehungen zwischen Enron und der Politik waren eng. Präsident Bush war im Wahlkampf von keinem anderen Unternehmen so großzügig unterstützt worden wie von dem texanischen Energiegiganten. Mit einem speziellen Computersystem, "Matrix" genannt, hatte der Konzern sogar errechnet, welche Gesetzesänderung ihn wie viel Lobby-Gelder kosten würde. Vizepräsident Dick Cheney traf sich im vergangenen Jahr sechs Mal mit Enron-Managern, um mit ihnen über die Energiepolitik zu reden. Doch die Liste der Enron-Profiteure aus dem engsten Zirkel der Macht ist weitaus länger. Sie reicht von Justizminister John Ashcroft über Wirtschaftsberater Lawrence Lindsey und den Handelsbeauftragten Robert Zoellick bis zu Bushs innenpolitischem Berater, Karl Rove.

In die letzten Präsidentschaftswahlen hatte Enron 1,7 Millionen Dollar investiert. Mehr als zwei Drittel waren so genanntes "soft money" - Gelder, die in unbegrenzter Höhe ganz allgemein an Parteien fließen dürfen. Damit einzelne Politiker direkt zu unterstützen, ist zwar verboten, aber auf Umwegen möglich. Die Demokraten sind zur Hälfte ihres Gesamtbudgets auf "soft money" angewiesen, die Republikaner zu einem Drittel.

Diese Spendenpraxis soll nun stark beschränkt werden. Eine Mehrheit der Demokraten ist für die Reform, eine Mehrheit der Republikaner dagegen. Doch deren Eigennutz darf sich wegen Enron nicht offen artikulieren. Das Weiße Haus nimmt offiziell gar nicht Stellung. Statt dessen wird heute im Repräsentantenhaus wohl nach allen Regeln der parlamentarischen Kunst getrickst. Der Scheinheiligkeit sind keine Grenzen gesetzt. Womöglich werden Gegner der Gesetzesinitiative sie sogar mit der Begründung ablehnen, sie gehe nicht weit genug. Andere werden Zusätze oder Ausnahmen verlangen. Die großen Zeitungen warnen bereits vor solchen Manövern. Heute komme es zum Schwur, heißt es. Es werde sich zeigen, wie stark die moralische Erschütterung durch den Enron-Skandal wirklich sei.

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