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Politik: „Morgens beten, abends Feten“

Soldatenwallfahrt: 13 000 Pilger in Uniform versetzen Lourdes in den Ausnahmezustand

Stille hat sich auf die kleine Lichtung gelegt, nur das Zwitschern einiger Vögel und die entfernte Marschmusik einer Kapelle dringen durch das dichte Blätterwerk. Ein zarter, würziger Weihrauchduft hängt in der feuchten Luft. Ob er dem Satan entsage, fragt Militärbischof Franz-Josef Overbeck einen jungen Soldaten, der mit ihm unter Laubbäumen vor einem einfachen Altar steht. „Ich entsage“, antwortet Alexander Athmer. Ob er dem Bösen entsage, fragt der Geistliche. „Ich entsage“. Und dessen Versuchungen? „Ich entsage“.

Während der Messe in Lourdes im Zeltlager auf dem Mont des Béatitudes erhält Athmer das heilige Sakrament der Firmung. Der Gottesdienst im Freien zählt für die deutschen Teilnehmer zum Höhepunkt der internationalen Soldatenwallfahrt. Zum 53. Mal kommen katholische Militärs aus der ganzen Welt in den Marienwallfahrtsort in Südfrankreich. Mehr als 13 000 Teilnehmer sind es diesmal. Aus Deutschland reisten rund 1000 Soldaten, Angehörige und zivile Angestellte der Bundeswehr mit drei Sonderzügen an.

„Begegnung – Freude – Besinnung – Gebet – Freundschaft – Friede“ heißt der offizielle Slogan der Wallfahrt. „Morgens beten, abends Feten“, sei für viele das inoffizielle Motto, sagt Athmer. Auch die Pfarrer wissen, dass vor allem junge Soldaten mit den Militärseelsorgern auf Wallfahrt gehen, um zu feiern und Kameraden aus anderen Nationen zu treffen. Eine Woche Sonderurlaub und eine gesponserte Reise locken auch Atheisten und Protestanten, für eine Woche zum Pilger zu werden.

Während der Soldatenwallfahrt gleicht die Innenstadt von Lourdes der Partymeile in El Arenal auf Mallorca. Gebirgsjäger aus Bayern trinken Brüderschaft mit Matrosen aus der Ukraine, deutsche Pioniere umarmen Fremdenlegionäre aus Frankreich, Österreicher trinken mit italienischen Kadetten um die Wette. Die Soldaten tauschen Abzeichen, Mützen, Schulterklappen. Selbst hohe Offiziere haken sich unter und schunkeln mit aufgeknüpften Uniformjacken zu den Liedern der Militärkapellen, die von morgens bis spät in die Nacht hinein spielen.

Auf einer Brücke über den Fluss Gave du Pau feiern hunderte Soldaten – auch Athmer und einige Kameraden sind dabei. In der weißen Matrosenuniform fallen sie besonders auf. Vor allem ihre Mützen mit den langen schwarzen Bändern sind begehrte Tauschobjekte. Doch Athmers Dienstzeit endet nächste Woche und der Hauptgefreite will vor dem Auskleiden keine Verlustmeldungen schreiben müssen. Andere Soldaten haben da weniger Hemmungen beim Tauschen und akzeptieren auch Getränke als Bezahlung. Die Kellner der Kneipe „Jeanne d’Arc“, die an der Brücke liegt, kommen mit dem Zapfen kaum nach. Es riecht nach Bier, Schnaps und Schweiß. Ein französischer Fremdenlegionär erklimmt eine Straßenlaterne und grölt von oben Lieder herunter. „Das ist Frieden in Europa“, sagt ein deutscher Militärpfarrer. Früher hätten die Länder, aus denen die Soldaten kommen, noch Krieg gegeneinander geführt, heute feierten alle zusammen.

Athmer geht es nicht nur um die Feten. Zum Beginn der Wallfahrt stieg er mit anderen Pilgern auf einen Berggipfel in der Nähe. Der 22-Jährige konnte von oben auf Lourdes herabschauen: Unzählige Läden drängen sich dort, die Andenken aller Art anbieten, von der Plastikflasche in Bernadette-Form, über Rosenkränze in Neon-Farben bis zu kleinen Marienpuppen. Kneipen und Hotels stehen dicht an dicht. Lourdes gehört zu den wichtigsten Wallfahrtsorten der katholischen Kirche. Die Stadt lebt von den Pilgern.

Nur im Heiligen Bezirk stehen keine Buden, Kioske und Geschäfte. Alkohol ist hier verboten. Dort, unterhalb der wuchtigen Rosenkranzbasilika, liegt die Grotte, in der der Heiligen Bernadette die Mutter Gottes erschienen sein soll. Erst nach Mitternacht kehrt hier Ruhe ein. Ein graubärtiger Oberstleutnant der Bundeswehr, der seinen Namen nicht nennen möchte, entzündet eine Kerze. Er betet für seine Kameraden, die in Afghanistan gefallen sind – und für die, die verwundet an Körper und Seele zurückkehrten.

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