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Politik: Moskau auf dem Weg nach Europa

Der Gast kommt fast als alter Freund. Der russische Präsident Wladimir Putin überraschte im September mit seiner Rede vor dem Bundestag - nicht nur, weil er sie in deutscher Sprache hielt.

Der Gast kommt fast als alter Freund. Der russische Präsident Wladimir Putin überraschte im September mit seiner Rede vor dem Bundestag - nicht nur, weil er sie in deutscher Sprache hielt. Er erklärte den Kalten Krieg endgültig für beendet und sprach von einem neuen Kapitel in der Geschichte der Beziehungen beider Länder. Wenn sich an diesem Dienstag und Mittwoch Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Weimar zu deutsch-russischen Konsultationen treffen, hofft die russische Seite nun auf konkrete Zusagen.

So erwartet Putin von den Gesprächen in Weimar einen Durchbruch im jahrelangen Streit um die Altschulden der früheren Sowjetunion. Bei der ehemaligen DDR hatte Moskau mit 6,4 Milliarden so genannten Transferrubeln in der Kreide gestanden. Uneins waren sich Russland und die Bundesrepublik bisher darüber, wie der Transferrubel umgerechnet wird - und wie hoch damit die Schulden sind. Moskau hatte zudem die Rechtmäßigkeit der deutschen Forderungen angezweifelt. Vor seiner Reise nach Weimar signalisierte Putin aber, dass er nun eine Einigung für möglich hält.

Als Streitfall der deutsch-russischen Beziehungen gilt auch die "Beutekunst". Berlin verlangt die Rückgabe der nach dem Zweiten Weltkrieg verbrachten Kulturschätze, Moskau erklärte sie jedoch per Gesetz zu russischem Eigentum. Über jede Rückgabe muss nun im Einzelfall entschieden werden. Kurz vor dem Gipfel machte die russische Duma der deutschen Seite ein Geschenk: Das Parlament bewilligte die Rückgabe der 111 wertvollen Bleiglasfenster aus der Marienkirche in Frankfurt (Oder). Putins Zustimmung gilt als sicher, weitere Projekte dieser Art hat er in Aussicht gestellt.

Beim Gipfel in Weimar will der russische Präsident auch die Annäherung seines Landes an Europa weiter vorantreiben. Dabei ist Deutschland nach Auffassung Moskaus der wichtigste Partner, wie Außenminister Igor Iwanow im Vorfeld des Gipfels sagte. In Gesprächen mit Brüssel hat Putin die Zugehörigkeit seines Landes zu Europa stets betont. Die Bundesregierung wolle Moskau bei der Annäherung an die Europäische Union unterstützen, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Brüssel und Moskau streben langfristig die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes an. Doch auch in Sicherheitsfragen wünschen sich beide Seiten eine engere Zusammenarbeit.

Schwieriger gestaltet sich jedoch Russlands Verhältnis zur Nato, die vor der nächsten Runde ihrer Erweiterung steht. Putin und Schröder wollen über Möglichkeiten der Mitsprache Russlands in der Nato reden. Doch zugleich wird in Berlin klargestellt, dass es nicht darum gehen kann, Russland zum 20. Mitglied der Nato zu machen. Moskau hingegen fordert eine neue Struktur, die über das Modell "19 Nato-Staaten plus Russland" hinausgeht: Russland möchte als gleichberechtigter Partner akzeptiert werden und bei Entscheidungen des Bündnisses ein Stimmrecht bekommen. Weitere Themen des Gipfels sind der internationale Kampf gegen den Terrorismus sowie die Lage in Nahost und in Afghanistan.

Parallel zu den Regierungskonsultationen treffen sich in Weimar bis Mittwoch über 150 Politiker, Wissenschaftler und Künstler aus beiden Ländern zum "Petersburger Dialog". Das Forum, das erstmals vor einem Jahr in Petersburg tagte, wurde von Schröder und Putin ins Leben gerufen. In Arbeitsgruppen diskutieren die Teilnehmer über Krisenprävention, die Rolle der Zivilgesellschaft und das umstrittene Thema der Medienfreiheit.

Leuchttürme ohne Licht

Einzelhandelsketten wie Spar, Edeka und Metro haben den russischen Markt schon lange für sich entdeckt. Sie profitieren vom Kaufkraftanstieg, den die Exporterlöse beim Öl mit sich bringen. Zudem hat unter Putin generell das Vertrauen in die wirtschaftliche Situation in Russland zugenommen - und sich damit das Klima insgesamt verbessert. Doch was für den Handel gilt, stimmt nicht für Anlageinvestitionen. Sämtliche so genannte Leuchtturmprojekte, mit denen beide Länder milliardenschwere Investitionen anschieben wollten, sind inzwischen abgehakt. "Von Leuchttürmen wollen wir gar nicht mehr reden", mochte sich ein deutscher Regierungsbeamter kürzlich nur ungern daran erinnern.

Auf dieser Liste befand sich etwa auch das ambitionierte Investitionsprojekt von Wintershall mit einem Volumen von rund 1,1 Milliarden Euro. Die geplante gemeinsame Erschließung des Ölfeldes Priraslomnoje in der Barentssee mit Gazprom wurde von russischen Wettbewerbern blockiert. Offiziell zwar nur auf Eis gelegt, rechnet inzwischen kaum noch jemand mit der Realisierung des Projekts.

Die Achillesferse bei den Geschäften in Russland bleibt wie in der Vergangenheit die Finanzierung. Die kapitalschwachen russischen Banken können eine solide Finanzierung zumeist nicht gewährleisten. Und der Staat übernimmt nur noch in Ausnahmefällen Bürgschaften. Also müssen die Kredite aus den Erlösen der Investitionen getilgt werden. Dies kann klappen, muss aber nicht. So sollen jetzt in Weimar Projekte präsentiert werden, die einen Neuanfang in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen begründen könnten. Neben einer Großinvestition von Ikea stehe auch ein Vertrag von Carl Zeiss für den Aufbau eines satellitengestütztes Katastersystems für Russland vor dem Abschluss. mbr/mzi (HB)

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