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Politik: Moskau, das Öl und die neue Vorsicht

Warum Putins neuer Stabschef im Kreml das Vorgehen der russischen Justiz im Fall Chodorkowskij kritisiert

Das Maß der Kritik hat die russische Regierung offenbar doch überrascht. Außenminister Igor Iwanow versuchte am Montag die besorgten Reaktionen aus Deutschland und die direkte Kritik aus Washington am Vorgehen der russischen Behörden gegen den Ölkonzern Jukos und dessen Chef, Michail Chodorkowskij, mit Hinweisen auf unlautere Machenschaften westlicher Konzerne zu parieren. Doch der Kreml tritt – nicht zuletzt mit Blick auf den EU-Russland-Gipfel am Mittwoch in Rom – verhalten auf die Bremse.

Der neue Chef der Kreml-Administration, Dmitrij Medwedjew, einer der treuesten Gefolgsleute des Präsidenten Wladimir Putin, meldete vorsichtige Kritik am Vorgehen der Ermittler gegen den Ölkonzern an. Nur wenige Stunden vor seiner Ernennung am Donnerstag hatte die Staatsanwaltschaft Jukos die Verfügungsgewalt über 44 Prozent seiner Aktien wegen möglicher staatlicher Regressansprüche entzogen. Am Wochenende widerrief das Rohstoffministerium eine Lizenz, die Jukos zur Erschließung und Ausbeutung eines sibirischen Ölfelds bekommen hatte. Den Zuschlag bekam inzwischen das Konkurrenz-Unternehmen Surgutneftegas.

Die „juristische Effizienz derartiger Sicherungsmaßnahmen ist nicht klar erkennbar“, kritisierte Medwedjew im Staatssender RTR. Gleichzeitig appellierte Medwedjew an die „Rechtspflegeorgane“, die „wirtschaftlichen Folgen derartiger Beschlüsse durchzuspielen“. Nicht bis zu Ende durchdachte Entscheidungen könnten sich für die Wirtschaft und die Politik negativ auswirken. Damit wollte Medwedjew angesichts der bevorstehenden Wahlen wohl den verbliebenen Getreuen der Jelzin-Ära im Präsidialamt, vor allem aber im Kabinett, Dialogbereitschaft signalisieren.

An der Spitze dieser Gruppe steht nach der Entlassung von Medwedjews Vorgänger, Alexander Woloschin, Premier Michail Kasjanow. Der hatte, trotz des Verbots von Putin, die Vorgänge um Jukos zu kommentieren, die Unverhältnismäßigkeit der Methoden kritisiert, was Spekulationen über seinen möglichen Rücktritt auslöste. Die dritte Interessengruppe in Putins Umfeld – junge Liberale um Finanzminister Alexej Kudrin – scheint nach dem Sieg der Petersburger zunehmend auf deren Positionen umzuschwenken.

Die Entlassung von Woloschin, sagte Kudrin der Zeitung „Kommersant“, könnte sich positiv auf die Wirtschaft Russlands auswirken. Die Kreml- Administration ist das Machtzentrums Russlands, von der Bedeutung her vergleichbar mit dem Apparat des KP-Zentralkomitees, der alle strategischen Entscheidungen unter Ausschluss des eigentlichen Kabinetts traf. Zu den Vorgängen um Jukos sagte Kudrin, die Staatsanwaltschaft habe sich bei der Entscheidung für die Sperrung der Jukos-Aktien nicht von „ökonomischer Zweckmäßigkeit, sondern Gott sei Dank vom Gesetz leiten“ lassen. Einige hätten das übel genommen und täten gut daran, ihre Grenzen zu erkennen. Allein von den Erlösen aus dem Ölgeschäft und künstlich geschaffenen Banken, so Kudrin weiter, könne auf Dauer keine Wirtschaft leben. Ein rechtskräftiger Gerichtsbeschluss zu Chodorkowskij werde schon mittelfristig den Wertpapiermarkt stabilisieren, meinte er. Am Montag legte Chodorkowskij sein Amt als Jukos-Chef nieder.

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