zum Hauptinhalt

Mubarak-Prozess: Eiserner Käfig statt eiserne Hand

Mord, Beteiligung an Mord und Bereicherung - so lautet die Anklage gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Hosni Mubarak. Der Herrscher mit der eisernen Hand erschien am Mittwoch als gebrochener Mann vor dem Kairoer Gericht.

Um 9.58 Uhr hielt Ägypten den Atem an, als sich die schmale Tür an der Seitenwand des wuchtigen, schwarzen Eisenkäfigs öffnete. Hintereinander traten die zehn weiß gekleideten Angeklagten ein. Alle Blicke jedoch ruhten einzig auf dem letzten in der Reihe, der auf einer Krankenbahre hereingerollt wurde: Mohammed Hosni Mubarak, 30 Jahre lang Präsident der Arabischen Republik Ägypten und im Februar durch einen 18-tägigen Aufstand von seinem eigenen Volk gestürzt.

Für einen Moment herrschte Stille im Auditorium von Kairos nationaler Polizeiakademie im Bezirk Neu-Kairo direkt am Rande der Wüste. Außerhalb der Mauer, vor dem Eingangstor Nummer acht an der großen Fernsehleinwand unterbrachen selbst die Pro- und Contra-Mubarak-Demonstranten kurz ihre Prügeleien und Steinwurfschlachten und starrten mit aufgerissenen Augen auf die Livebilder ihres Staatsfernsehens.

Seit seiner letzten störrischen Fernsehrede am 10. Februar, dem Vorabend seines Sturzes, hatte niemand am Nil Mubarak mehr öffentlich gesehen. Jetzt tauchte er hinter den rautenförmigen Gittern wieder auf - ein gebrochener Mann, bis zum Oberkörper bedeckt mit einem weißen Laken, dem immer wieder Tränen aus den Augen rinnen. Seit seinem Sturz nagt eine schwere Depression an seiner Seele und ein Krebs an seinem Körper. Manchmal scheint es, er würde das weiße Tuch auf seiner Bahre am liebsten ganz über das Gesicht ziehen und sich von der Welt verabschieden.

Seit April lag der 83-Jährige total abgeschirmt im Internationalen Hospital von Sharm al Sheikh, zuletzt versuchte er sogar eine Art Hungerstreik, um dem Auftritt vor dem Kairoer Tribunal doch noch zu entgehen. Seine Haut wirkt gelblich-kränklich, die Haare allerdings – wie früher – makellos schwarz gefärbt. Bisweilen starrte er verloren vor sich hin, dann wieder vergrub er sein Gesicht unter beiden Armen.

Erst am frühen Morgen war Mubarak mit einer Militärmaschine nach Kairo geflogen worden. Für die Dauer des Prozesses in seinem Kriminalfall 3642 soll er nun in einem Kairoer Militärhospital bleiben. Der zweite Verhandlungstag ist für den 15. August anberaumt.

Mubarak und sein Gefolge könnte am Galgen enden. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Die Anklage lautet auf Mord, Beteiligung an Mord und Bereicherung – und könnte für Mubarak, seine mitangeklagten Söhne Alaa und Gamal sowie den früheren Innenminister Habib el-Adly und sechs Polizeigeneräle am Galgen enden. Einige ägyptische Zeitungen montierten am Mittwoch bereits auf ihrer ersten Seite einen Totenkopf neben dem Porträt des Ex-Potentaten. Denn Generalstaatsanwalt Abdel-Meguid Mahmoud ist überzeugt, dass der Ex-Präsident den Schießbefehl seines Innenministers Adly zumindest gebilligt hat. Damit sei er mitverantwortlich für „vorsätzlichen Mord an friedlichen Demonstranten“ und „versuchten Mord“ an vielen tausend Verletzten. Er habe „Polizisten und Offiziere aufgehetzt, auf die Opfer zu schießen, andere gezielt zu überfahren, um sie zu töten, und wieder andere so zu terrorisieren, dass diese von ihren Forderungen ablassen“. 846 verloren in dem 18-tägigen Volksaufstand ihr Leben, über 6500 wurden verletzt – die meisten Opfer starben durch Kugeln von Scharfschützen in Kopf oder Brust.

„Ich bestreite alle diese Anschuldigungen kategorisch“, widersprach Mubarak mit fester Stimme in das ihm gereichte Mikrofon und wedelte abwehrend mit seinem linken Zeigefinger. Genauso seine beiden Söhne, die die gesamten vier Stunden neben der Liege ihres Vaters standen, sich zuweilen zu ihm herunterbeugten und seine Stirn küssten.

Kaum war der Generalstaatsanwalt mit dem Verlesen der Anklageschrift fertig, bestürmten die Anwälte der Opfer und Angeklagten das Gericht mit Beweisanträgen. Sie forderten Ortstermine auf den Gebäudedächern rund um den Tahrir-Platz, die Beschlagnahme aller fraglichen Dienstpläne der Spezialeinheiten, den Zugang zu sichergestellten Beweismitteln wie Gewehren und Munition sowie Kopien von 120.000 Dokumenten, auf denen die Anklage basiert. Allein Mubaraks Anwalt Farid al-Deeb will 1600 Zeugen vorladen lassen, darunter den Vorsitzenden des Obersten Militärrates, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi.

Adressat an der Stirn des Saales war das dreiköpfige Tribunal mit grünen Schärpen, Vorsitzender Richter ist Ahmed Refaat. Der grauhaarige Jurist mit intellektuellem Gesicht, tief sitzender Nickelbrille und feinem Schnauzer strahlt Ruhe und Autorität aus. „Alle Menschen werden eines Tages vor ihrem Schöpfer Allah stehen“, mahnt er zu Beginn. „Darum dürfen wir hier nichts anderes tun, als nach der Wahrheit zu suchen.“ Refaat ist Kanzler des Obersten Kairoer Strafgerichts und in seinen Händen liegt in den nächsten Monaten das Schicksal von Hosni Mubarak.

Der Prozess ist für den gesamten Nahen Osten ein historisches Ereignis. Weiter auf Seite 3.

Nicht nur für Ägypten, für den gesamten Nahen Osten ist dieser Mittwochvormittag eine historische Premiere. In jedem Auto läuft das Radio, in jedem Büro ein Fernseher, Millionen Menschen im ganzen Land verfolgten den Auftakt dieses Jahrhundertprozesses live, genauso wie wohl auch Libyens Muammar Gaddafi und Syriens Bashar al-Assad sowie die gesamte arabische Machtelite der Region. Statt eiserner Faust nun eiserner Käfig - zum ersten Mal in der modernen arabischen Welt zieht ein Volk seinen ehemaligen Diktator vor einem ordentlichen Gericht zur Verantwortung. Mubarak, jahrzehntelang unangreifbar und übermächtig, hat seinen Schrecken verloren. 600 Zuschauer erlebten dem Strafprozess in dem holzgetäfelten Saal, Mubaraks Frau Suzanne allerdings war nicht erschienen. Die Hälfte der Sitze war für Angehörige der Opfer reserviert, durch ein Drahtgitter getrennt von den Sitzreihen für die Verwandten der Angeklagten, Anwälte und Journalisten. Und genauso gespalten wie das Auditorium drinnen war auch die Menge draußen vor den Toren der Polizeiakademie, die einst „Mubarak Akademie für Sicherheit“ hieß und von dem jetzt mitangeklagten Ex-Innenminister Habib el-Adly gebaut worden war. Zwei Tage vor dem Beginn der Unruhen hatte Mubarak hier noch eine Rede vor Polizeioffizieren gehalten und ihnen dafür gedankt, dass Ägypten ein so sicheres Land sei. Adly saß damals stolz in der ersten Reihe.

Aya Elshafel hält ein Farbplakat von ihrem politischen Idol in der Hand, dass sie von eigenem Geld gekauft hat. Mubarak habe Ägypten zu einem besseren Ort gemacht, sagt die 26-jährige Mathematiklehrerin. „Wir hatten 30 Jahre keinen Krieg, 30 Jahre Sicherheit, eine große Zunahme beim Tourismus – unter Mubarak ist Ägypten ein modernes Land geworden.“ Seit 1981 aber habe sich die Bevölkerung mehr als verdoppelt – und trotzdem „ich hatte nie das Gefühl, dass alles den Bach runter geht“, sagte sie, während immer wieder Steinschlachten zwischen ihren Mitstreitern und Mubarak-Gegnern ausbrechen, die beide in der gleißenden Sonne etwa zweihundert Anhänger aufzubieten hatten. Die Emotionen kochten hoch, am Ende gab es mehr als 60 Verwundete. Und jedes Mal waren die ägyptischen Polizisten die ersten, die in Sichtweite ihrer im pharaonischen Tempelstil gebauten Akademie hilflos und in Panik davonrannten. Ein Mubarakfan kniete mitten im Getümmel gar mit einem Portrait des Verehrten in den erhobenen Händen auf dem Asphalt nieder, als wenn er sich für seinen geliebten Herrscher steinigen lassen wollte.

Vor sechs Monaten hätte sich noch niemand von den Volksmassen auf dem Tahrir-Platz träumen lassen, dass es einen solchen Moment der Abrechnung und Sühne jemals geben würde. Demonstranten hatten Mubarak-Puppen an Ampelmasten aufgeknüpft, doch die Mehrheit hielt das für Utopien revolutionärer Träumer. „Ich werde auf ägyptischem Boden sterben und richten wird mich allein die Geschichte“, schleuderte der 83-Jährige damals mit grimmiger Miene seinem aufgebrachten Volk in nächtlicher Fernsehansprache entgegen.

Doch seit Anfang Juli war der Druck der Demokratiebewegung so enorm gewachsen, dass selbst der Oberste Militärrat seinem ehemaligen Luftwaffenkameraden und Helden des Jom-Kippur-Krieges dieses demütigende Spektakel am Ende seines Lebens nicht mehr ersparen konnte. Immerhin war der Chef des 20-köpfigen Gremiums, Feldmarschall Tantawi, einer der engsten Vertrauten des Ex-Präsidenten. Jüngere Offiziere verspotteten ihn in ihren Kasinos offen als „Mubaraks Pudel“. Vor vier Wochen jedoch besetzten die jungen Protestierer den Tahrir-Platz in einer zweiten revolutionären Aufwallung und forderten endlich eine glaubwürdige juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Regimes. Die Generäle gaben nach.

„Ich bin froh, ihn in diesem Käfig zu sehen. Jetzt habe ich endlich das Gefühl, das die Seele meines Sohnes ihre Ruhe findet“, sagte Saeeda Hassan Abdel-Raouf, Mutter eines jungen Demonstranten, der mit 22 Jahren durch eine Polizeikugel starb. Auch Ahmed Abdul Manami war vom ersten Tag an bei der Revolution dabei. „Ich habe Leute sterben sehen und ich glaube nicht, dass Mubarak unschuldig ist“, erklärte der 18-jähige Wirtschaftsstudent, der ebenfalls zu dem Public Viewing vor die Akademie gekommen war. Der Ex-Diktator habe das Land zugrunde gerichtet. „Millionen Leute hier haben nichts, sie haben nicht einmal das Recht, von einem besseren Leben zu träumen.“ Er hoffe, dass der Prozess fair verlaufe und das Gericht Mubarak seine Schuld nachweisen könne. Und nach einer kurzen Pause fügte er sibyllinisch hinzu: „Ich bin kein Gegner der Todesstrafe.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false