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Klare Sprache. Vor dem Kanzleramt hatten Demonstranten Plastikstelen mit dem Gesicht der berühmten Nofretete aufgestellt.

© AFP

Mursi in Berlin: Ein heikler Besuch

Mursi ist nach fast 30-jähriger Diktatur der erste frei gewählte Präsident Ägyptens, damit lässt sich politisch gut begründen, dass die Bundesregierung einem Islamisten den roten Teppich ausrollt. Doch vor dem Berliner Kanzleramt wird der ägyptische Präsident mit Protesten empfangen.

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Das Wetter meinte es nicht gut mit dem ägyptischen Präsidenten: Als Mohammed Mursi gemeinsam mit Gastgeberin Angela Merkel am Mittwochmittag die militärische Ehrenformation vor dem Berliner Kanzleramt abschritt, prasselten dicke Regentropfen aus dem Januarhimmel. Auch in übertragenem Sinne war die erste Reise des 61-Jährigen nach Deutschland von dunklen Wolken überschattet wie kaum ein anderer Staatsbesuch in Berlin in den vergangenen Jahren. Denn das Land, in dem nach Mubaraks Sturz Mursis Muslimbrüder die Mehrheit gewannen, kommt auch nach wochenlangen Demonstrationen und Straßenschlachten nicht zur Ruhe.

Dass die Bundesregierung einem bekennenden Islamisten den roten Teppich ausrollte, ist politisch gut begründet: Mursi ist nach fast 30 Jahren Diktatur das erste frei gewählte Staatsoberhaupt Ägyptens. Zudem hat Berlin ein großes Interesse daran, dass das einflussreiche und bevölkerungsreichste arabische Land die Friedensverträge mit Israel einhält und in der Region eine stabilisierende Wirkung entfaltet. „Ägypten ist eine wichtige Stimme und kann einen wichtigen Beitrag leisten“, sagte Merkel nach dem Mittagessen mit dem Gast.

Zwar herrscht auf politischer Ebene zwischen Kairo und Jerusalem Funkstille. Doch im Gaza-Krieg hat sich Mursi als Vermittler zwischen Israel und der Hamas bewährt. Auch wurde in Berlin aufmerksam registriert, dass Mursi sich im Sommer 2012 in Teheran klar vom iranischen Mullah-Regime abgegrenzt hat, indem er Hilfe für die syrische Opposition einforderte. Auch beim Auftritt mit Merkel erklärte der Gast, das Blutvergießen in Syrien müsse gestoppt werden: „Das syrische Regime darf sich nicht an die Macht klammern.“

Ausdrücklich würdigte die Kanzlerin, dass Mursi trotz der „nicht einfachen innenpolitischen Lage“ in Ägypten gekommen war. Tatsächlich waren es neben dem Wunsch nach öffentlicher Anerkennung durch das wichtigste europäische Land handfeste Interessen, die Mursi an seinem Reiseplan festhalten ließen. Die Muslimbrüder verdanken ihren Wahlsieg auch dem Versprechen, den Armen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Doch die Krise lähmt die ägyptische Ökonomie und schreckt Touristen ab, der Fremdenverkehr aber ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes. Wichtigstes Ziel Mursis in Berlin war es deshalb, staatliche Finanzhilfe und mehr private Investitionen aus Deutschland mit nach Hause zu bringen.

Der Bundesregierung gibt dieser Wunsch einen Hebel in die Hand, ihrer Forderung nach Sicherung demokratischer Rechte und der Einbindung der Opposition, die gegen den islamistischen Verfassungsentwurf Sturm läuft, Nachdruck zu verleihen. Einen „Dialog mit allen Kräften“ forderte Merkel nach dem Gespräch und wies darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft nur investiere, wenn dauerhaft Rechtssicherheit herrsche. Mursi gab sich Mühe, das Bild vom Israel-Hasser zu relativieren, das kürzlich bekannt gewordene TV-Interviews mit ihm zeichnen. Zitate, in denen er die Zionisten in Israel als „Blutsauger“ und „Nachfahren von Affen und Schweinen“ beschimpfte, seien aus dem Zusammenhang gerissen, sagte er in Berlin und versicherte: „Ich bin nicht gegen das Judentum als Religion, ich bin nicht gegen die Juden.“ Merkel, von der bekanntlich der Satz vom Existenzrecht Israels als Teil der deutschen Staatsräson stammt, sagte zu diesem Thema lediglich: „Wir haben darüber gesprochen.“

Öffentlich versicherte der ägyptische Präsident, er wolle demokratische Reformen vorantreiben. Der Forderung des wichtigen Oppositionsführers Mohammed al Baradei, die Kritiker in die Regierung einzubinden, will Mursi aber nicht entgegenkommen, wie er deutlich machte: „In Ägypten gibt es eine stabile Regierung, die Tag und Nacht arbeitet.“

Während Mursis Visite bei Merkel demonstrierten vor dem Kanzleramt Menschenrechtsorganisationen, koptische Christen und mehrere andere Gruppen gegen den Islamisten. Amnesty International (AI) kritisierte, seit dem Sturz von Hosni Mubarak seien mehr als 130 Demonstranten von Soldaten und Polizisten getötet worden. Doch nur in zwei Fällen habe es Urteile gegen Sicherheitskräfte gegeben. AI-Mitarbeiter verteilten Karten, die auf der Vorderseite das Street-Art-Bild eines martialisch aussehenden Polizisten zeigten, der mit dem Knüppel einem einen Pinsel haltenden jungen Mann droht.

Mehrere Dutzend Menschen hatten sich in Sichtweise des Regierungssitzes versammelt, um mit Sprechchören gegen den Besuch des ägyptischen Staatschefs zu protestieren. Gelbe Transparente wurden hochgehalten. „Mursi: Stopp die Gewalt gegen Demonstranten“, stand in schwarzen Buchstaben auf einem geschrieben. Als Blickfang hatte AI zwei Plastikstelen mit dem Gesicht der Nofretete aufgestellt. Eine zeigte die Königsgemahlin mit blutigem Verband über einem Auge, die andere trug eine Gasmaske vor Mund und Nase.

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