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Bischof Markus Dröge, seit 2009 Leiter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

© Thilo Rückeis

Evangelischer Bischof Markus Dröge: "Müssen im Dialog mit dem Islam viel intensiver arbeiten"

Der evangelische Bischof Markus Dröge erklärt im Interview die Verantwortung der Kirche in Zeiten von Rechtspopulismus und Terror. Wichtig seien unter anderem der Austausch mit der katholischen Kirche und mit dem Islam.

500 Jahre Reformation, Jubiläumskirchentag in Berlin und Wittenberg, spüren Sie Aufbruchsstimmung in ihrer Kirche oder sind Sie eher in einer Phase des Sich-selbst-Bewusstwerdens?

Beides. Durch das Reformationsjubiläum haben wir die Chance und die Herausforderung, unsere Positionen zu klären. So haben wir im Gespräch mit dem Judentum den Antisemitismus Martin Luthers neu aufgearbeitet. Wir haben uns erneut mit dem Thema Judenmission befasst und mit der Frage, wie wir unseren Glauben bezeugen können, ohne dass dies von Jüdinnen und Juden als Missionierung empfunden wird. Wir haben gemerkt, dass wir im Dialog mit dem Islam noch viel intensiver arbeiten müssen. Das heißt: In vielen Themenbereichen gibt das Reformationsjubiläum Anlass zur Selbstvergewisserung, und natürlich müssen wir noch einmal die Kernbotschaft auf den Punkt bringen.

Und gleichzeitig spüre ich eine Aufbruchsstimmung. Wir sind begeistert, wie viel Resonanz das Thema Reformation in der Gesellschaft hat. Da geht es offenbar der Gesellschaft selbst auch um Selbstvergewisserung, um die Frage: In welcher Tradition stehen wir? Für diese Frage ist die Botschaft der Reformation, Freiheit in Verantwortung für den Nächsten, heute sehr zentral. Und eine besondere Aufbruchsstimmung bringt der Kirchentag. Nicht nur weil Obama kommt, sondern weil wir in vielen Themen Präsenz zeigen.

Wir führen dieses Gespräch in der Osterwoche. Die Osterbotschaft lautet: Er ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden – ist das auch des Landesbischofs Botschaft zum Osterfest?

Das ist die Botschaft, die ich in jedem Ostergottesdienst auch der Gemeinde zurufe: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Und ich spüre dann geradezu, dass diese Botschaft zu Ostern in aller Welt verkündet wird, ob das bei den koptischen Christen in Ägypten ist, die jetzt gerade Schreckliches erleben, ob das in Syrien ist; weltweit wird diese Botschaft weiter getragen, und: Es ist eine Hoffnungsbotschaft. Ich glaube, dass wir heute diese Hoffnung gegen den Trend stark machen müssen.

Das heißt, Menschen, die durch Krieg und Terror verunsichert sind, bekommen durch die Kirche Hoffnung gegen den Trend der allgemeinen Hoffnungslosigkeit?

Ich verstehe die Osterbotschaft so, dass wir uns nicht daran gewöhnen dürfen, in einer Welt zu leben, in der die Gewalt offensichtlich Siege einfährt und in der der Terrorismus anfängt, die Menschen grundsätzlich zu verängstigen. Die Osterbotschaft sagt: Der, der gewaltsam ans Kreuz gebracht wurde, weil er für Friedfertigkeit eingetreten ist, der wird von Gott wieder zum Leben auferweckt. Bevor wir uns einer resignativen Stimmung hingeben, dass die Welt eben so sei, wie sie ist, sollen wir die Hoffnung stark machen: Gewalt und Hass können durch Versöhnung überwunden werden!

Sind Sie sich in diesem Streben mit der katholischen Kirche einig?

Ich spüre schon einen starken Geist der Gemeinschaft. Wir haben ja im Vorfeld zusammen mit der katholischen Kirche überlegt: Können wir eigentlich das Reformationsjubiläum gemeinsam feiern? Die katholische Kirche hatte eher die Einstellung, dass man das Jubiläum gemeinsam begehen, aber nicht feiern könne, denn es habe eben doch zu einer Spaltung geführt. Wir haben uns dann darauf geeinigt: Ein Christusfest können wir gemeinsam feiern.

Das heißt, wir besinnen uns wieder auf den dynamischen Urgrund des Glaubens, Jesus Christus. Das können wir gemeinsam feiern, auch wenn wir sehr unterschiedlich sind. Ich spüre auch eine sehr große Herzlichkeit hier in Berlin zwischen Erzbischof Heiner Koch und unserer Kirche, er hat gerade im Eröffnungsgottesdienst unserer Landessynode gepredigt und dabei gefragt: Welche Botschaft haben wir heute gemeinsam für die Stadt Berlin und für Brandenburg?

Wie lautet die gemeinsame Botschaft?

Wir wollen die göttliche Versöhnungsbotschaft in einer Umgebung bezeugen, in der für viele Menschen der Glauben an Gott gar nicht mehr selbstverständlich ist und in der viele auch skeptisch geworden sind, ob Religion überhaupt noch eine konstruktive Kraft in der Welt sein kann. Wir haben eine gemeinsame Botschaft, die uns anspornt, uns für das Gemeinwohl und für die Schwächeren einzusetzen.

Unter Papst Benedikt musste man fürchten, der Papst bremst die Annäherung. Der Papst aus Argentinien ist viel offener…

Der Rat der EKD war ja anlässlich des Reformationsjubiläums in Rom zur Audienz eingeladen. Bei dieser Begegnung spürte man eine tiefe Gemeinschaft. Für mich liegt das daran, dass dieser Papst die christliche Botschaft wieder weltoffen zur Sprache bringt, während Benedikt doch sehr stark konzentriert war auf die römisch-katholische Kirche, die er stärken wollte. Franziskus hat in seiner Ansprache an uns das Gebet Jesu um die Einheit der Christen interpretiert als gemeinsamen Auftrag an uns Christen, sich auch für die Einheit der Menschheit einzusetzen. Das macht die Ökumene stark.

„Auftrag“ weist nach vorne. Eine Ihrer Lieblingsthesen ist, man dürfe im Dialog der Konfessionen nicht zurückschauen, woher man kommt, sondern nach vorne, auf das, was man gemeinsam erreichen will. Ist das die Zauberformel?
Ich möchte nicht so verstanden werden, dass der Blick zurück nicht notwendig sei. Mich hat das Wort Richard von Weizsäckers sehr geprägt, das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Aber ich möchte nicht, dass wir bei der Aufarbeitung der Vergangenheit stehen bleiben. Wir werden befreit gemeinsam in die Zukunft zu schauen, wenn wir uns gegenseitig die Vergebung zusprechen.

Noch einmal zum Stichwort Ökumene. Ist eine Kirche wie die EKBO auf Ökumene besonders angewiesen? Hier stößt Arm auf Reich, christlich auf atheistisch, lebendige Gemeinde auf aussterbende Kirche…

Ostdeutschland gehört weltweit zu den Gebieten, in denen die Menschen am wenigsten religiös sind. Aber fast überall sonst auf der Erde gehört Religiosität zum Menschsein. In Ostdeutschland liegt das an der Erziehungspolitik der DDR. Ich habe mit einer Pfarrerin gesprochen, die aus der Gegend bei Hannover hierher nach Berlin gekommen ist, in die Krankenhausseelsorge. Sie erzählte mir, dass sie hier im Osten Berlins zum ersten Mal spürt, dass Menschen die Kirche nicht nur egal ist, sondern dass sie ihr ausgesprochen feindlich gegenüberstehen.

Das hat mehrere Gründe, historische, weil die Kirche in der DDR als Machtinstrument angeprangert wurde, zum Beispiel wegen der Kreuzzüge, dass aber auch viele Menschen seit dem Untergang der DDR eine innere Abneigung gegen alles haben, was so wirkt wie eine ideologische Großinstitutionen. Es ist eine Generationenaufgabe, wieder Vertrauen in den christlichen Glauben zu schaffen. Und das geht nur ökumenisch.

Womit hängt es zusammen, dass es dem Kommunismus weder in Polen noch in Ungarn oder gar in Russland gelungen ist, den Glauben zu eliminieren, aber in der DDR?

Mir wird oft die Frage gestellt, ob der Katholizismus stärker wäre als der Protestantismus, weil es ihm in Polen besser gelungen sei, den Kommunismus zu überleben als der evangelischen Kirche in Brandenburg. Ich habe dieses Thema mit unseren polnischen Partnern diskutiert. Sie sagen mir, das sei nicht so.

Während des Kommunismus in Polen wurde zum Beispiel die Erstkommunion nie so verfolgt wie in der DDR die Konfirmation. Die Kommunisten in Polen haben nie das Gefühl verloren, dass die Kirche einfach zur polnischen Nationalseele gehört. In der DDR hat man den Kindern wirklich von Anfang an beigebracht, dass es unwissenschaftlich sei, zu glauben. Dass man als Christ einer Institution angehöre, die den Fortschritt behindere und unberechtigterweise Macht beanspruche. Das hat stark gewirkt…

Und wie ist das heute?

Jetzt verbindet sich in Polen, Ungarn und Russland der Glaube tatsächlich mit einem neuen, problematischen Nationalbewusstsein. Das aber ist für uns als evangelische Christen in Deutschland keine Option. Ich trauere dem nicht nach, dass es einmal eine Verbindung gab zwischen deutschem Nationalismus und evangelischem Glauben. Wir haben gelernt, dass sich der christliche Glaube nicht für nationale Interessen instrumentalisieren lassen darf. Die Botschaft Christi war immer eine grenzüberschreitende. Sie können das am Namen unserer Kirche sehen. Vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges hieß die Kirche „Deutsche Evangelische Kirche“. Heute heißt sie „Evangelische Kirche in Deutschland“. Deutsch zu sein ist kein Wesensmerkmal der Kirche.

Also sind wir nicht in der Gefahr, dass der Protestantismus in Deutschland wieder zur Staatsreligion wird? Angesichts der protestantischen Dominanz in führenden politischen Positionen unseres Landes könnte man darauf kommen…

In der DDR hatten viele kritische Geister, die an dem Unrecht in der DDR gelitten haben – die sich nicht mit fehlender Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Reisefreiheit abfinden wollten – in der evangelischen Kirche ihre Heimat gefunden und sind unmittelbar nach dem Mauerfall damit in die politische Verantwortung gekommen. Sie hatten ja schon alleine deshalb eine gewisse Glaubwürdigkeit, weil sie in der DDR in Opposition gelebt hatten. Auf der anderen Seite gehört es natürlich schon auch zum evangelischen Ethos, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren und in die Politik hinein zu gehen.

Damit will ich den Katholiken nicht absprechen, dass es bei ihnen auch so ist. Aber so einen gewissen bürgerlichen evangelischen Geist, der sagt, ich muss dem Allgemeinwohl dienen, den gibt es bis heute. Staatskirche sind wir bestimmt nicht mehr. Dass das Land selbst protestantischer geworden sei, glaube ich nicht. Wir haben ja eher das Problem, dass der Anteil von Katholiken und Protestanten in der Bevölkerung prozentual zurückgeht.

Das Gegenteil von staatsnah ist das Thema Kirchenasyl…

Das Instrument des Kirchenasyls ist hier in Berlin „erfunden“ worden vor mehr als 30 Jahren. Es geht nicht etwa darum, Menschen zu verstecken. Wenn Menschen zum Beispiel bei einer Abschiebung mit Tod oder Folter bedroht sind, geht es darum in enger Abstimmung mit den Behörden, noch einmal eine Art von Moratorium zu haben. Ein Innehalten, ob in einem Verfahren alle rechtlichen Möglichkeiten angemessen bedacht wurden. Und dankenswerterweise wird das von der Politik auch als ein sinnvolles Verfahren akzeptiert. Bezogen auf die Gesamtzahl der Asylbewerber in Deutschland gibt es nur eine geringe Zahl von Kirchenasylen.

Jetzt haben wir aber eine ganze Reihe von Fällen, wo Menschen nach vielen Jahren des Aufenthalts in der Bundesrepublik durch die beschleunigte Aufarbeitung der alten Fälle, plötzlich vor der Gefahr stehen, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, oder nach Osteuropa. Dort haben sie nicht die Möglichkeit, sich so zu integrieren, wie hier, wo sie oft mit Hilfe der Kirchengemeinden große Fortschritte gemacht haben, Deutsch gelernt haben und eine Ausbildung beginnen könnten, wenn sie anerkannt werden. Da ist es für Kirchenmitglieder nur ganz schwer nachzuvollziehen, wenn diese Menschen in eine völlig ungewisse Situation abgeschoben werden sollen.

Viele Flüchtlinge sind Muslime. Rechtspopulistische Bewegungen schüren die Angst vor dem Islam. Wie sollte die Kirche mit dem Thema Rechtspopulismus umgehen? Sie haben gefordert, die Kirche müsse sich heute in der Tradition der Bekennenden Kirche im Dritten Reich sehen. Ist die Gefahr durch den Rechtspopulismus so groß?

Ich habe in der Rede auch gesagt, dass man die Zeiten nicht vergleichen kann. Wir haben keine instabile Gesellschaft wie Anfang der Dreißiger Jahre. Wir haben gefestigte demokratische Institutionen und eine sichere Wirtschaftslage. Aber wenn der Rechtspopulismus wieder beginnt, völkisches Denken zu verbreiten oder wieder beginnt, unterschiedliche Menschengruppierungen unterschiedlich in ihrer Würde zu bewerten, dann müssen wir eine Kirche sein, die offensiv dagegen vorgeht – bekennend wie damals.

Da gibt es noch eine Berührung zwischen Islam und Christentum. Die Berliner Landesregierung möchte an der Humboldt- Universität eine multi-religiöse Fakultät zu etablieren, also neben der katholischen und der evangelischen Theologie auch den Islam zu lehren. Ist das eine sinnvolle Idee?
Die Idee, an der Humboldt-Universität eine wissenschaftliche islamische Ausbildungsmöglichkeit zu schaffen, halte ich für sehr sinnvoll und unterstützenswert. Ebenso gut und fördernswert und geradezu begeisternd finde ich die Idee, auch im wissenschaftlichen Raum den Dialog zu institutionalisieren. Dass unsere evangelische Theologie gleichzeitig mit Katholiken, mit Muslimen, mit Juden in Kontakt ist , um zum Beispiel über das Gottesverständnis miteinander zu diskutieren. Welche Rechtsform das im Einzelnen haben kann, das ist kompliziert, da muss man Schritt für Schritt vorgehen. Die theologische Forschung und Lehre muss für alle Religionen konfessionell orientiert sein und gleichzeitig wissenschaftlich frei. Es geht nicht um eine Mischreligion oder eine flache Ethik auf kleinstem gemeinsamen Nenner. Ich bin dankbar, dass sich in Berlin so viele für dieses Projekt engagieren…

Haben wir in Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem?

Wenn Sie fragen: Ja oder Nein, muss ich antworten: Ja, wir haben ein Gerechtigkeitsproblem. Wir haben in unserer Gesellschaft eine Schere, die auseinander geht zwischen Arm und Reich. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat bereits 2009 eine Schrift herausgegeben unter dem Titel „Wie ein Riss in einer großen Mauer“ und hat deutlich gemacht, dass die Finanzkrise zu einer Vertrauenskrise geführt hat. Während dieser Zeit hat die Bevölkerung gesehen, dass viel Geld aufgebracht wurde, um die Banken zu retten.

Es entstand der Eindruck, dass man das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich nicht ebenso stringent als Problem sieht. Ich denke, dass auch das Aufkommen des Rechtspopulismus mit dem Eindruck vieler Menschen zu tun hat, für „die da oben“ werden die passenden Bedingungen geschaffen und auf den einfachen Bürger schaut niemand. Wir müssen die soziale Ausrichtung unserer sozialen Marktwirtschaft wieder mehr als Gemeinschaftsaufgabe verstehen.

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